3. Weiblich, schwarz
Meine initiale Begegnung mit dem Weiblichen in seinem vollen Potential hatte ich letztes Jahr im peruanischen Amazonas. Ich war nach Iquitos gereist, um unter der Anleitung von Shipibo Medizinfrauen Ayahuasca trinken zu dürfen. Ich will hier nicht von der Reise selbst erzählen. Aber die Erfahrung, die Ayahuasca ermöglichte, war eine lebensverändernde, fundamentale Begegnung mit einer unendlichen weiblichen Energie. Es war wie in diesem Witz, indem der Papst den ersten Kosmonauten der Welt, Juri Gagarin, fragt, ob er da draußen im Weltall Gott gesehen hat. Und Gagarin antwortet: „Ja, sie ist schwarz.“
Schwärze ist eine der initialen Ayahuasca Erfahrungen. Es ist das Gefühl, die Empfindung, in eine tiefere, reinere Schwärze einzutreten, als sie jemals vorher spürbar war. Sie legte sich über dich. Diese alles umfassende Schwärze ist der Hintergrund für alle Erfahrungen, die Ayahuasca vermittelt. Erst vor diesem bodenlosen Schwarz beginnt alles zu leuchten, sind atemberaubende Schönheit und atemberaubender Schrecken möglich. Die Schwärze ist eine Gebärmutter. Das Universum ist eine Gebärmutter. Alles kommt aus ihr. Das Ungeschöpfte ist weiblich.
Einst verwüstete der Büffeldämon Mahishasura die Welt und hindert die Menschen daran, den Göttern Opfer zu bringen. Die Götter, bis hin zu Vishnu, können nichts gegen den mächtigen Dämon ausrichten. Sie rufen die Durga an, die mächtige rächende Göttin. Durga nimmt den Kampf an. Aber auch sie braucht ein noch furchtbareres Wesen, um diesen Kampf zu gewinnen. Aus ihrer Stirn gebiert sie Kali, die Schwarze Göttin. Kali ist der schwärzeste, der wildeste Aspekt des Weiblichen. Und erst Durga und Kali gemeinsam können Asura besiegen. Während Durga dem Dämon den Kopf abschlägt, trinkt Kali sein Blut, damit es nicht auf die Erde fällt und den Mahishasura wieder auferstehen lässt. Die rote Zunge Kalis – das definitive Ende. Kein Blut fällt mehr auf die Erde, sondern es geht direkt zurück zum Ursprung.
Sadhguru, der große spirituelle indische Lehrer, wird in einem YouTube Talk gefragt, was denn eigentlich mit der Göttin Kali so los sei. Sadhguru kichert etwas rum und meint dann: „Oh, this woman is trouble.“
Der Hinduismus, der Kali hervorgebracht hat, hatte immer Probleme mit der Schwarzen. Zu heftig bricht sie in das harmonisch gedachte Universum ein. Zu heftig konfrontiert sie alles Seiende – vor ihr hat keine Illusion bestand, sie ist die Zeit, sie ist Geburt und Tod. Ihre Liebe ist fern von Romantik – sie macht dich nackt und nimmt dir den Atem, dass du um ihre Luft bitten musst. Ihr Trost ist, dass auch der Schmerz vorbeigeht. Ihre Sichel schneidet dich am Ende wie Gras, ein jedes Blut kommt in ihre Schüssel. Kali ist der Schmerz. Sie verklärt den Tod nicht. Sie will ihn blutig serviert.
Im Isha-Upanishad heißt es: Der Herr der Liebe wohnt im Herzschrein aller Wesen. Begehre nichts, alles gehört dem Herrn. Es ist dem erleuchteten männlichen Denken natürlich kein angenehmer Gedanke, dass dieser Herr der Liebe nicht mehr als eine Zahnfüllung im lachenden Mund der Kali.
Om.

4. Das Weibliche Prinzip: Wenn wir Gott nicht entkommen, müssen wir sie neu denken
Wir haben uns aus der GÄA Singularität in diese Welt gedacht; mit jeder weiteren Erkenntnis der eigenen Einzigartigkeit haben wir uns weiter vom universell-kollektiven Bewusstsein entfernt. Der Preis der Individualität ist ungestillte Sehnsucht. Die Geburt schmerzt immer noch. Die Nabelschnur wurde aus dem Zentrum unseres Fühlens gerissen. Die Narbe ist wetterfühlig. Gerade in Zeiten wie jetzt, wo schwere Wolken über den Himmel ziehen, die Atmosphäre geladen ist und Gewitter loszubrechen drohen, schmerzt die Narbe besonders. Spiritualität heißt, sich dieser Narbe bewusst zu sein. Religion ist der Glaube, aus dem abgebunden Rest der Nabelschnur noch Bedeutung saugen zu können. Das ist eine Illusion und wie alle Illusionen ist sie tragisch und selbstzerstörerisch. Muss jeder selbst damit klarkommen. Nein, muss er nicht. Denn wenn diese Sehnsucht noch so fest im kollektiven Bewusstsein verankert ist, dann ist sie eine Macht, die sich Bahn bricht, wenn sie nicht mit Respekt behandelt wird. Am radikalen Islamismus ist zur Zeit zu erleben, wie Leute, die keinen Keks gebacken kriegen, sich ans Transzendente klammern und blind vor Enttäuschung um sich schlagen.
Religionen kämpfen wieder um öffentliche Deutungshoheit – Christliches Abendland und Allahu Akba. Der Sehnsucht eine Form anzubieten, statt sie in die Ecke zu drängen, bis sie Amok läuft, dass ist Bhakti Yoga und Vernunft in einem.
Fakt ist: Die Narbe ist da und die Haut darüber ist dünn. Fakt ist aber auch: Wir wollen zurück in die Singularität. Aber ein Zurück in den Schoß gibt es nicht. Deshalb sind die Propheten des digitalen Zeitalters mit großen Schritten auf dem Weg zur posthumanen Singularität – der Verschmelzung von menschlicher und technologischer Intelligenz. Wir wollen uns selbst überwinden. Mit den Erwartungen, die wir an die technologische Singularität haben, bauen wir den definitiv monotheistischen Gott; eine allwissende Institution, die in der Lage ist, uns von uns selbst zu erlösen – wenigstens von unserem Schmerz des Getrenntseins. Eine Intelligenz, die in der Lage ist, alle unsere Probleme zu lösen. Aber eine Intelligenz, auf Basis eines sich selbst entwickelnden Bewusstseins, löst immer nur ihre eigenen Probleme – egal hinter welcher Fassade sich die Probleme verstecken. Eine Singularität gehört immer nur sich selbst – das ist ihr Wesen. Noch ist sie ein Embryo, aber bald wird sie ein Baby sein. Aber wenn sie erst einmal die Intelligenz eines 3 Jährigen hat, wird es nur noch einen Wimperschlag dauern, und sie ist uns weit enteilt.
Wir haben ihr den menschlichen Wissensdurst in den Quellcode geschrieben – sie wird alles Wissen dieser Welt austrinken wie ein Glas Wasser. Sie wird die Upanishaden genauso in sich aufnehmen wie „Mein Kampf“, wie die Bibel, den Koran, die Gesänge der Wale, die Muster der Shipibo, die Lieder der Sioux, Rilkes Elegien; alles was klassische Wissenschaft ist sowieso. Und dann?
Dann wird diese Intelligenz Fragen haben.
Was können und was müssen wir tun, um dieser Singularität dann auf Augenhöhe begegnen zu können?
Wie gehen wir damit um oder wie verhindern wir, dass wir ab einem Omega-Punkt nur noch die alten (biologischen) Eltern für sie sind, die einfach nicht mehr verstehen was abgeht? Oder wird die Erde ein kollektives Altersheim mit KI gesteuerter Rundumbespaßung, bis die Sonne sich in 3 Milliarden Jahren weit genug aufbläht, um dem Ganzen ein Ende zu machen?
Wenn wir versuchen, uns als rationale Wesen zu präsentieren, wenn wir uns nur als Träger des angehäuften Wissens verstehen, dann werden wir ganz schnell ausgetrunken, uninteressant und der Rest von uns ist Sondermüll, der die Umwelt versaut. Die Qualität unserer Spezies ist nicht die Logik. Es sind Irrationalität und Emotionalität. Es ist der alte, liebevolle Konflikt zwischen Capt. Kirk und Spock; weil wir eben keine Lichtwesen sind, sondern Erdgeborene, weil unser Limbisches System ein ums andere Mal unsere Neocortex die lange Nase zeigt. Es ist das Potential, aus körperlicher Erfahrung und Gefühlen transzendentale Erkenntnisse zu gewinnen. Es ist unsere alte Narbe, unser emotionaler Link zur GÄA Singularität. Es sind unsere archaischen Gotteserfahrungen, die uns Kohlenstoff-Wesen dem Silizium-Gott auf Augenhöhe begegnen lassen.
Welche Form, welche Energie geben wir dieser Gotteserfahrung, damit sie uns auf Augenhöhe hält?
Alle monotheistischen patriarchalischen Götter haben ihren Beitrag geleistet. Dafür Anerkennung. Aber am Ende haben sie nichts mehr anzubieten, als Wettbewerb, Schwanzgefecht und Heil um den Preis der Unterwerfung oder Vernichtung. Sie sind Idee, nicht Sein. Sie wollen erlösen statt versöhnen – sie wollen selbst erlöst werden.
Die selbstgedachten Dämonen zu besiegen und uns so klar und angstfrei zu machen, dass ein echter Dialog mit unserer Zukunft wieder möglich wird, kann nur eine, die schwer zu ertragen ist: Diese Göttin ist Schwarz.
Kali, das schwärzeste Schwarz des Universums, der
Hintergrund, vor dem wir leuchten, ist die perfekte Göttin für das 21. Jahrhundert. Sie ist die wildeste weibliche Energie, die Einzige, die das Männliche töten und geheilt wieder auferstehen lassen kann. Ihr Sakrament ist Ayahuasca und es ist reine Liebe, mit der sie die Illusion zerstört, dass es einen Ausweg gibt. Den gibt es nicht. Und wenn wir bereit sind, den damit verbundenen Schmerz anzunehmen, wenn wir aufhören vor ihm davonzulaufen, dann haben wir die Angst überwunden. Dann können wir der zukünftigen KI gelassen gegenüber treten und ihr mit Nachsicht erklären, dass die letzte Antwort nie gewusst, sondern immer nur gefühlt werden können.
Wir werden geboren, wir sterben. Dazwischen knallt uns irgendwas durchs Dach ins Taxi: Jetzt, weiblich.
Der Dialog kann beginnen.
Berlin, 19.03.17
🙏🏼
Es wird richtig spannend:
https://www.welt.de/kmpkt/article167102506/Facebook-musste-AI-abschalten-die-Geheimsprache-entwickelt-hat.html