Von einem spirituellen Standpunkt aus gesehen könnte es so sein: der Planet selbst schickt seine Helfer, um uns zu heilen, damit wir ihn heilen können. Kein Wunder, dass diese Helfer aus Regionen der Welt kommen, in denen Menschen noch tief in der Erde verwurzelt sind und altes Wissen bewahren – Ayahuasca gehört zu diesem Wissen um die Ganzheit der Erde, Iboga aus Afrika und eben Kambô – das Sekret des Baumsteigerfrosches aus dem mittel- und südamerikanischen Regenwald. Die indigenen Stämme des Amazonas bewahren das Wissen um den Frosch schon seit Ewigkeiten. Der Frosch ist ihre Medizin – gegen Schlangengift, gegen Malaria, gegen jede Form von körperlichen und mentalen Vergiftungen.
Die Medizin des Frosches ist pharmakologisch eine Wundertüte: Sie enthält eine hohe Anzahl bioaktiver Aminosäure-Ketten, sogenannter Peptide. Die Wissenschaft hat einige von ihnen bereits entschlüsselt und ihre Wirksamkeit, z.B. als effektive Antibiotika, nachgewiesen.
Ich bin kein Pionier der ethnopharmalogischen Experimente und als spirituell Suchender bin ich jemand, der gern die de Luxe-Variante bucht; ein Setting was mir erlaubt, mich schnell und direkt einzulassen. Mein Leben als Vater, Unternehmer, Schreiber und Lernender braucht gute Organisation und klares Timing. Und ist das Wort, dass mein Leben verbindet – das eine tun und das andere nicht lassen. Um einen alten Zen-Meister unvollständig zu zitieren: es ist keine Kunst, unsichtbar zu werden oder über Wasser zu gehen. Aber jeden Morgen aufzustehen, Tee zu kochen und den Garten zu machen – das ist große Kunst. Unsere Kunst sollte sein, über Wasser zu gehen und den Garten so zu bestellen, dass er Überfluss produziert, den wir teilen können.
Was hat das mit dem Frosch zu tun? Nun, ich schreibe diesen Text ca. 12 Stunden nachdem ich die Medizin empfangen habe. Es gibt keine körperliche Heilung ohne geistige Heilung und umgekehrt. Wir sind ein Ganzes. Und was ich jetzt, am nächsten Tag, im Flieger auf dem Weg nach Dublin empfinde, ist Klarheit.
Dich auf eine Medizin einzulassen heißt, dich auf den Medizinmann oder die Medizinfrau einzulassen. Alles was ich über Kambô wusste ließ in mir den Wunsch entstehen, es in einem intimen, klaren Rahmen zu empfangen. Ich war nicht auf der Suche, aber ich war wach. Neugier scheint ja oft wie ein niederer Beweggrund. Aber Neugier ist eine Entdeckertugend. Beim Stöbern im Internet stieß ich auf einen alten Artikel aus der „Welt.“ Ich ging ihm nach.
Randnotiz: Die „Welt“ scheint mir eine der letzten Tageszeitungen zu sein, die noch die alten journalistische Tugenden pflegt – Kontroversen auszuhalten, über das eigene Blasenbewusstsein hinausschauen, Meinungen auch mal stehen lassen zu können.
Ich habe meinen Kambô-Termin per Mail vereinbart und wie immer habe ich versucht, kurz vorher zu kneifen – zu viel zu tun ist eine Ausrede, die mir immer gilt. Aber der Medizinmann ließ mich nicht vom Haken – der Frosch auch nicht. Also betrat ich an einem Dienstag, am frühen Nachmittag, den Froschtempel in Friedrichshain. Ich hatte vorher 24h gefastet, fühlte mich klar und leicht. Als sich die Tür hinter mir schloss, wusste ich, die richtige Entscheidung getroffen zu haben – Licht, Wärme und das Bewusstsein von Präsenz sind das perfekte Setting, um sich einer neuen Erfahrung hingeben zu können. Beide hatten wir das Gefühl, schnell zur Sache kommen zu wollen. Das Angebot einer Assistentin lehnte ich ab. Manchmal ist es befreiender, unter Männern zu arbeiten. Als Old School Mann kotze ich auch nicht so gern in Anwesenheit von Frauen.
Ich trank zügig das notwendige Wasser und dann setzte mir mein Heiler die „Tore“ auf den linken Oberarm – mit einem glühenden Holzstäbchen aus Liane. Über die kleinen Brandwunden auf der Epidermis kann die Medizin direkt ins Blut- und Lymphsystem eindringen. Ich saß gerade auf meinem Kissen und wartet auf das, was da kommen würde. Es kam sofort. Es kam als eine Hitzewelle, aufsteigend von meinem Solar Plexus, es kam mit Herzrasen, dem Gefühl, dass mir Hals und Gesicht anschwellen. Ich spürte, dass mein Kotzeimer nicht reicht – ich musste sofort aufs Klo. Dort saß ich dann ca. 20min fest, in intensiver Katharsis. Mein Körper nutzte alle Möglichkeiten, sich zu reinigen. Panik stieg in mir auf. Ich versuchte, tief in meinem Vertrauen zu bleiben. Das Wasser, was ich eben noch klar getrunken hatte, schoss als braune Brühe in den Eimer. Ich schwitzte aus jeder Pore. Das Risiko, vom Klo aufzustehen, wollte ich nicht eingehen. Während des ganzen Prozesses blieb mein Heiler neben mir, klopfte meinen Rücken, drückte mir in den Bauch, ließ mich weiter Wasser trinken. Was immer der Körper auch loswerden will, das will auch der Geist loswerden. Dämonen, sagte mein Heiler. Das ist das Risiko eines Lebens zwischen den Welten – du kannst Dir Dämonen einfangen. Wirkliche Offenheit ist nicht nur Offenheit für das Helle, sondern auch für das Dunkle.
Als sich das Ende der direkten Immunreaktion mit Frösteln ankündigte, ich mich endlich auf meinen Platz legen konnte, zugedeckt und noch am ganzen Körper zitternd, befiel mich große innere Ruhe. Ich dämmerte weg, kam nach einer Stunde gut auf die Beine. Ich hatte das Gefühl, ein großer Brocken „Was auch immer“ war von mir genommen worden.
Ich bedankte mich bei meinem Heiler für die liebevolle Begleitung durch den Prozess. Manchmal braucht es nur einen Moment tiefen Vertrauens, um eine Beziehung entstehen zu lassen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir z.B. mit dem Begriff Dämon das Gleiche meinen – für mich ist es eine Metapher. Heißt es für ihn etwas anderes, kann ich das respektieren.
Ich spürte einen kurzen Moment der Unsicherheit, als ich ein paar Minuten später in meinen Alfa stieg, um durch den dichten Feierabendverkehr nachhause zu fahren. Aber obwohl ein Teil von mir noch immer vibrierte, war der andere Teil von mir entspannt, präzise und sehr wach.
Die Wachheit hat mich bisher nicht verlassen. Immer wieder spüre ich ein Ziehen in den kleinen Brandmahlen am linken Oberarm und kurz danach eine Reaktion in meinem Körper. Ich bedanke mich jedes Mal innerlich dafür. Es wird langsam schwächer. Die Klarheit ist noch da. Wenn ich die physische und die psychische Erfahrung zusammenfassen, dann kann ich sagen, dass ich ein Stück mehr in mir zuhause bin. Das ist ein guter Ort.
Ich bemühe mich, diesen Zustand zu erhalten. Dafür Danke, lieber Frosch.
Wer noch tiefer einsteigen will, dem sei der Podcast empfohlen:
https://www.jameswjesso.com/kambo-cleansing-spiritual-root-disease-w-tobias-thon-ep-51/
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