Ich erzählte die Geschichte beim Frühstück, ich erzählt sie Dave am Weiher. Ich erzähle sie Christa, die Tochter vom Mutter-Tochter Gespann aus L.A., mit der ich bis dahin kaum Kontakt hatte. Ich erzähle es ihr, weil sie gerade da ist.

Danach ist unser Verhältnis total verändert – immer noch eher distanziert, aber die Distanz ist mit Herzlichkeit gefüllt. Je öfter ich die Geschichte meines Missbrauches erzählte, umso mehr verlor sie ihre Macht.

Die letzte Nacht war die erste Nacht der Trinität – drei Zeremonien an drei Nächten hintereinander. Unter Kennern auch „Die große Packung“ genannt.

Ring frei zur zweiten Runde. Jeden Abend die gleiche Frage von Cora, wenn wir Einer nach dem Anderen in den Kreis treten und die Flasche mit Aya dunkel im Licht der Petroleum-Lampen schimmert: „You want something more?“

Elena, die Schamanin, lacht: Mehr geht immer!

Ich habe Ying-Yang-Yoga gemacht, ich habe meinen Mapacho bereit, ich habe Ariana, sie liegt rechts von mir, in den Arm genommen und Kristy, links, die Hand gedrückt. Ich fühle nach der letzten Erfahrung Ruhe und Konzentration in mir. Zum erst Mal spüre ich echtes Vertrauen. Die Medizin war scheußlich, aber der Grund dieser Scheußlichkeit war Heilung, da gab es keinen Zweifel mehr. Ich saß da, war auf meinen Atem konzentriert, beobachtete meine Gefühle. Ich habe jahrelang Vipassana meditiert, die alte Technik der Selbstbeobachtung. Angeblich wurde Gautama dadurch zum Buddha. Buddhist wurde er dadurch bestimmt nicht. Ich bin im Sozialismus aufgewachsen, mit der leicht säuerlichen Note des Stalinismus. Der Kapitalismus bezahlt meine Rechnungen. Ayahuascismus – das geht zum Glück nicht. Die Göttin ist unberechenbar, nicht System tauglich. Irgendwie war ich das auch nie; renitent, wütend, verletzt, so lange ich mich erinnern kann.

Ich bat den Spirit des Urwaldtabaks, es heute sanft angehen zu lassen. Die Frösche draußen gaben das Zeichen – die große Dunkelheit senkte sich sanft und warm über mich, die laute Parade der wilden Neonformationen, mit der sich Aya sonst ankündigt, fiel aus. Der Raum hinter der Schwärze war weit und einladend, ich konnte ihn sofort betreten.

Die Dudes warteten auf mich. Ich sah sie vorsichtig winken, um mich nicht zu erschrecken. Ich erkannte sie sofort. Man erkennt die Dudes, wenn man sie sieht. Als die Maestros zu singen begannen, griff ich mir mein Eimerchen. Ich kotzte fast zärtlich, es war nicht mehr viel, was raus musste. Ich spülte mir den Mund mit Wasser und begriff, je konzentrierter und bewusster ich eine Bewegung ausführte, desto besser kam mein System damit klar. Ich hatte das Gefühl, entspannt in meinem Körper und gleichzeitig überall sein zu können. Musste ich aber nicht. Ich kann auch einfach hier sein. Ich fühle mich in reiner Liebe mit meinen Töchtern und meiner Frau verbunden. Danach aber auch gleich mit allen Menschen, mit allen lebenden Wesen. Die Dudes verstärkten das Gefühl. Die Dudes schwebten um mich herum; im Prinzip ist alles Schweben. Wenn es nichts Festes gibt, weil alles nur Schwingung ist, dann gibt es auch kein Stehen, kein Sitzen. Wir schweben, alles schwebt, die Erde schwebt. Gut, dass ich schon tief in mein Eimerchen geschaut hatte.

Die Dudes sind lustige Kerlchen, sahen aus wie leuchtende Hüte, wie bunt bemalte Sombreros mit Franzen unter Schwarzlicht. Die Dudes lieben es, zwischen den Bäumen zu sein und mit uns abzuhängen. Sie wollen uns nicht erschrecken, deshalb haben sie die Medizin zu uns gebracht – damit wir mit ihnen sein können. Die Medizin, so erklären mit die Dudes, ist pure, kosmische Reinheit. Ihr sauer-bitter, unendlich komplexer Geschmack ist der Geschmack des Universums. Diese Reinheit zieht alle Unreinheit aus unserem Körper, unserem Geist an und transportiert sie nach draußen. Das ist die Reinigung. Ayahuasca ist auch ein Programm, dass über das Limbische System, das Hirnareal rund um das Stammhirn, unser Immunsystem neu konfiguriert. Die Dudes wollen uns schützen, damit wir die Bäume schützen können. Die Dudes lieben diesen Planeten und die Bäume. Deswegen sind sie hier. Mit den Dudes kann man nur über Gefühle kommunizieren. Es ist eine Form der Telepathie. Wir haben dann noch Umschubsen gespielt und Luna, den Hund des Camps, geärgert. Das war sehr lustig. Später werden mir meine Mitreisenden erzählen, dass sie mein Kichern sehr inspiriert hätte.

Die Ikaros, die Gesänge der Schamanen, sind übrigens wie Pflaster. Sie schließen die Stellen, die von der Reinigung der Medizin offengeblieben sind. Sie wachsen auch so wieder zu, aber mit den Ikaros heilt es schneller.

Das alles erzählten mir die Dudes. Und noch viel mehr.

Ich fühle mich sehr willkommen.

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