O und die Nacht, die Nacht, wenn der Wind
voller Weltraum uns am Angesicht zehrt –, wem
bliebe sie nicht, die ersehnte,
sanft enttäuschende, welche dem einzelnen
Herzen mühsam bevorsteht. Ist sie den
Liebenden leichter? Ach, sie verdecken sich
nur mit einander ihr Los.
Rainer Maria Rilke
1. Das 5. Element und ich.
Der Unterschied zwischen einer Utopie und einer Dystopie im Film ist folgender: Eine Utopie sieht nach ein paar Jahren meistens alt und lächerlich aus. Eine Dystopie wird immer realer. Das ist jedenfalls die Richtung, in die der Hase gerade läuft.
Vor ein paar Tagen habe ich mir mal wieder das 5. Element von Luc Besson angeschaut. Noch ein paar Jahre hin, dann geht der Film als Doku durch: Ausgelaugte Exsöldner, Armeen, die jeden Krieg verloren haben, Nudelimbisse mit Flügen, Entertainment-Konzerne als Weltherrscher und die Eintrittskarten für alle guten Konzerte sind schon lange an aufdringliche Sponsoren vergeben.
Ich meine, wie groß ist der Unterschied noch?
Und immer lauert das Böse irgendwo und kommt näher, weil es jemanden gibt, der von sich, seinem Leben oder dem Großen und Ganzen so enttäuscht ist, dass ihm das Böse als einzig gute Alternative erscheint. Idioten, die für Geld alles machen, sind auch immer dabei. Okay, die Exekutive auf dem unteren Level der Eskalation ist wesentlich freundlicher geworden. Wir können uns Big Brother heute als freundlichen Animateur vorstellen: „Bitte stellt Sie sich nackig und samt Biographie zum Scannen in die dafür vorgesehenen Kreise, damit wir sehe können, wie schön Sie sind. Wenn Sie ihre Freunde mitbringen, bekommen Sie einen Extra-Like! Vielen Dank für Ihre Kooperation.“
Wer für diese Runde kein Bild, keine Rose, keinen Recall bekommen hat, tritt bitte nach links und optimiert sich weiter. Wir empfehlen dafür den neuen Ratgeber von Omsy Bomsy: Dein Potential ist unendlich, du Waffel!
Wehe aber, wir leisten dem freundlichen Animateur nicht Folge. Dann ruft er die Geschäftsleitung und dann wird es unerfreulich. Besonders schlimm wird es, wenn Sicherheitsdienste angeheuert werden, die nicht auf die hohen ethischen Ansprüche der Mutter-Company vereidigt wurden. Das passiert meistens, wenn Kosten gespart werden sollen. Also immer. Die ganzen ekligen, asymmetrischen Kriege der letzten zwanzig Jahre sind darauf zurückzuführen, dass irgendwer seine Kettenhunde nicht mehr an der Leine halten konnte.
Was ich beim 5. Element am meisten liebe, ist die Art und Weise, wie das Weibliche als rettendes Prinzip in die Welt knallt – zerschossen und zerstört, verstört, eine Sprache sprechend, die keiner mehr versteht.
Das Weibliche als Prinzip spricht selbstverständlich eine uralte Sprache – sumerisch z.B. oder einen sehr frühen Sanskrit-Dialekt. Es kommt schließlich aus dem Beginn der Zeit, aus dem großen mystischen Nebel, der den Anfang bedeckt. Vorsicht, jetzt wird es irgendwie anrüchig: Es verführt vom ersten Moment an. Es verführt in jede Richtung – ins Helle, ins Dunkle, zur Lust und zum Schmerz. Verführen ist leider total aus der Mode gekommen. Was wir heute meist erleben ist Animation; effektiver Einsatz der Mittel auf ein intendiertes Ergebnis hin. Ansonsten wird argumentiert, demonstriert, proklamiert, auf alle Fälle frustriert.
Bresson ist ein Mystiker und deshalb verführt er. Geheimnis ist die Grundlage jeder Verführung. Die Kommunikation auf die Enthüllung hin muss erarbeitet werden. Das 5. Element macht sich sofort an die Arbeit – Sprache, Geschichte und Hühnchen. Schließlich ist ihr gegenüber Bruce Willis, das männliche Prinzip. Das braucht zum Verstehen etwas länger.
Das männliche Prinzip nimmt in unserer Zeit am liebsten die Form der Karikatur an. Ein reines, männliches Prinzip ist nicht mehr denkbar. Wenn es sich aufrichtig gibt, ist es der Tor, der Narr. Wenn es noch mächtig sein will, ist es lächerlich. Wenn es sich zu seiner Hilflosigkeit bekennt, geht vielleicht noch was. Beim 5. Element führt es auf dem letzten Drücker zur Rettung der Welt.
Ufff …
Das 5. Element als Film strebt dann jenseits von Mythos und erzählenswerter Dystopie dem Micky Mouse Happy End entgegen – der imperfekte männliche Held und die perfekte weibliche Kriegerin sinken sich in die Arme, knick knack und Ende vom Lied.
Die negative Utopie, die sich anschließt, hat Tucholsky schön beschrieben:
Die Ehe war zum jrößten Teile / vabrühte Milch un Langeweile / und darum wird beim happy end / im Film jewöhnlich abjeblend

2. Heiliger Schrecken
Das Weibliche Prinzip fällt vom Himmel. Es muss in den männlichen Alltag einschlagen wie Leeloo Minai Lekarariba-Laminai-Tchai Ekbat De Sebat in das Taxi von Korben Dallas – durchs Dach. Für diesen Moment des heiligen Schreckens, den der Held erfährt, werde ich Luc Besson ewig dankbar sein. Der heilige Schrecken ist die Art, wie das Weibliche Prinzip in das Leben tritt. Es muss erschüttern. Was anderes ist Geburt sonst für alle Beteiligten als Heiliger Schrecken?! Und wessen ureigenstes Privileg ist es? Eben.
Die Natur mag es einfach. Prinzipien, die sich einmal bewährt haben, werden in unendlichen Varianten durchgespielt. Dualität ist ein solches variiertes Grundprinzip. Bei allen Beschwörungen der ursprünglichen Einheit ist es das Getrenntsein und die damit verbundenen Sehnsucht nach Verbindung, was den Laden in Schwung hält. Wo sich die Gegensätze annähern und ausgleichen ist Grau, Lauwarm, Asche. Natürlich ist Getrenntsein nicht die wahre Natur der Wirklichkeit, aber es ist ihr dynamisches Prinzip. Ich bin Eins mit mir – das kann einen verdammt langweiligen Zustand beschreiben. Es sei denn, du hast eh zu viel Zeit und bist auf dem Weg, ein Heiliger zu werden. Aber selbst auf diesem Weg lauerte noch als Gegensatz von heilig die Scheinheiligkeit.
Heiß und Kalt, Hoch und Tief, Nacht und Tag, Weiblich und Männlich, das sind Formen des Getrenntseins, die Existenziell sind. Die Erdrotation verlangsamt sich. Die letzte Minute im Juni 2017 wird schon 61sec lang sein. Das passiert, wenn wir anfangen, den Schwung zu verlieren. Das ist noch nicht wirklich beunruhigend, aber es sollte uns zu Denken geben.
Das Männliche Prinzip ist durch die Zivilisations-geschichte verbraucht, durch Allmachtsfantasien korrumpiert und durch den Verrat am Weiblichen beschmutzt. Noch heute hat der ganze männliche Naheosten Angst vor der sumerischen Göttin Innana und ihren Schwestern, Ischtar, Astarte, Aphrodite – wie sonst hätte er solche aggressiv-patriarchalische Systeme wie Judentum oder Islam denken können?
Das Männliche kann sich nicht selbst erneuern, reinigen, neu kalibrieren. Es braucht eine Hand, die es wäscht. Es ist auf die unbedingte Hilfe des Weiblichen angewiesen.
Das Weibliche Prinzip läuft gerade Gefahr, dem Männlichen gleich zu werden. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen – ich meine hier Weiblich und Männlich als schöpferische, energetische Prinzipien, nicht als Geschlecht und schon gar nicht als soziales Konstrukt.
Es darf keine soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern geben, egal in welcher Form sie sich artikulieren, daran besteht kein Zweifel. Aber es braucht das Weibliche als Gegensatz, als Antipoden des Männlichen. Nichts braucht die Welt zurzeit mehr.
Die eine Gefahr für das Weibliche ist, dass es sich mit dem sozialen Verwechselt und beim berechtigten Kampf um soziale Gleichheit das eigene Prinzip verrät. Die andere Gefahr lauert darin, das Weibliche zu überhöhen, es zu enteierstocken, es als reines pures Licht zu sehen, eine Regenbogen furzende scheinheilige Weiblichkeit, die sich in der Illusion gefällt, das pure Gute zu sein, weil das Männliche ja bewiesen hat, dass es irgendwie das pure Böse ist – Krieg, Atombombe, Umweltverschmutzung und so. Gut und Böse, das ist die einzige Dualität, dies es in der Natur nicht gibt. Aber wenn sich das Weibliche darauf reduziert oder selbstverklärt, dann Houston, haben wir ernsthaft ein Problem!
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