IX.

Ich bin ein Wanderer auf diesem Weg. Ich will kein Mönch sein. Ich habe hart an meinen Anhaftungen gearbeitet – ich will sie auch genießen. Ein Fuß in der Welt (aus Geist und Materie), einer im Nirwana. Der Buddha wollte nicht mit dem größten Mönchsorden der Welt ins Guinness Buch der Rekorde. Er wollte die Menschen vom Leiden befreien. Die Lehre des Buddhas entstand unter bestimmten Bedingungen – dem geistige Klima Indiens, dem Wissen der Waldklöster, der Weisheit der Upanishaden. „Der Herr der Liebe wohnt im Herzschrein aller Wesen. Der Herr ist die höchste Wirklichkeit. Begehre nichts, alles gehört dem Herrn.“ Die Isha Upanishad öffnet auch heute noch das Herz, wie sie es schon seit tausenden von Jahren tut. Zwischen extremer Askese und gieriger Hingabe ans Jetzt hat der Buddha den Mittleren Weg gefunden. Wenn ich die Empfindungen in den Empfindungen beobachte, erkenne ich noch jede Menge Anhaftungen an die Welt aus Geist und Materie. Ich finde Verlangen und Ablehnung. Also alles wie vorher und völlig umsonst viele Stunden rumgesessen? Nein! Zwischen der Empfindung und der Reaktion auf die Empfindung hat sich ein Raum geöffnet – ein Nicht-Ich-Raum. In diesem Raum bin ich in der Lage, Beobachter zu bleiben, eine Entscheidung zu treffen – mich für Verlangen oder Abneigung zu entscheiden, oder eben der Beobachter zu bleiben. Das ist nur ein kleiner Schritt, aber er verändert das ganze Spiel. Gelassenheit wird mit Gelassenheit belohnt. Aus diesem Nicht-Ich-Raum heraus lässt sich das ganze Wunder des Daseins in 360° betrachten. Meine Teenager-Mädchen werfen die Tür und ich gehe ihnen nicht nach. Ich warte, bis sie wiederkommen. Ich nehme den Zorn meiner Frau nicht an; ich sehe meinen alten Zorn. Ich wünsche ihr, dass er sich bald auflöst. Das war früher anders. Wenn Erregung in mir aufsteigt, schaue ich ein paar Züge auf meinen Atem und warte, bis er wird ruhig wird. Was immer mir auch angeboten wird, ich muss nicht JA sagen. Ich bin gut und gern in dieser Welt zuhause. Ich habe jetzt diesen Körper und ich nehme ihn als Geschenk und Tempel. Eines Tages werde ich ihn loslassen müssen und diese Welt wird zurückbleiben. Indem ich tiefer in die Natur der Realität eintauche, befreie ich auch meinen Körper und mache es ihm leichter im Hier und Jetzt zu sein. Ein gelassener Körper ist ein gesünderer Körper.

Von Robert A. Heinlein stammt das Zitat: „Ein Mensch sollte in der Lage sein, eine Windel zu wechseln, eine Invasion zu planen, ein Schwein zu schlachten, ein Schiff zu steuern, ein Gebäude zu entwerfen, ein Sonett zu verfassen, ein Konto abzurechnen, eine Mauer zu bauen, einen Knochen zu schienen, Sterbende zu trösten, Befehle zu befolgen, Befehle zu erteilen, zu kooperieren, eigenständig zu handeln, Gleichungen zu lösen, neue Probleme zu analysieren, Mist zu schaufeln, Computer zu programmieren, eine gute Mahlzeit zu kochen, effizient zu kämpfen, galant zu sterben. Spezialisierung ist etwas für Insekten.“ Ich kann noch immer keinen Computer programmieren. Ich bin noch nicht galant gestorben.

Ich bin in den letzten 16 Jahren oft stehengeblieben, habe mich ablenken lassen, habe hier und da mal probiert, ob es die Drogen wieder tun. Taten sie nicht. Ayahuasca hat es getan. Die Göttin hat sich zu mir heruntergebeugt und mir ins Ohr geflüstert: Du hast deinen Weg, geh ihn!

Der Buddha hat fünf große Hindernisse für die Befreiung benannt: Sinnesbegierde, Feindseligkeit, Trägheit, Ruhelosigkeit und Zweifel. Ich habe jedem dieser Hindernisse ein paar Jahre gewidmet. Aber dafür habe ich großartige körperliche Liebe erfahren und habe wunderbare Kinder. Ich habe mich mit Verve mit der Welt gestritten, war voller Wut und es hat mein halbes Leben gedauert, um daraus Zärtlichkeit zu machen. Träge war ich nie, aber immer wieder Ruhelos und voller Zweifel gegen mich. Ich bin auf meine Eitelkeit reingefallen. In dem großartigen Film „Im Auftrag des Teufels“ sagt Al Pacino am Ende „Eitelkeit, eindeutig meine Lieblingssünde!“ Yo, da kann ich mitreden. Und doch bin ich voller Dankbarkeit für jede Erfahrung und jeden Aufbruch.

     X.

Ich glaube, dass heute über Bücher, soziale Medien etc. alles offenbart ist. Jede noch so geheime Lehre ist dem Google Algorithmus bekannt. Statt zu üben, schauen wir Youtube Tutorials, Synonym: How to. Jede Technik ist demokratisiert und bevor es noch Erfahrung damit gibt, gibt es schon Urteile. Drei von Fünf Suchern fanden diese Empfehlung hilfreich. Wir tun nicht, wir bewerten.

Der Buddha sagt, lieber alleine üben, als mit den falschen Leuten. Einfach mal die Klappe halten würde viele unserer Probleme gar nicht erst entstehen lassen. Den Mut haben, mal keine Meinung zu haben, wenn wir nicht wissen was Sache ist. Der Buddha nennt das edle Rede.

Unser alles durchdringender neoliberaler Geist hat aus allem einen Wettbewerb gemacht. Vielleicht war das immer schon so. Wo es um Wahrheit geht, wird immer laut hier geschrien. In Buch „Wie Siddhartha Buddha wurde“, geschrieben vom wunderbaren Lehrer Thich Nhat Hanh, werden die frühen Jahre Buddhas erzählt – der Kampf um die Wahrheit wurde schon vor 2500 Jahren mit allen Mitteln geführt. Der Kampf um die Wahrheit war schließlich auch immer ein Kampf um die materielle Existenz. Ich denke, auch heute noch solltest du keinem Guru mit Vorkasse trauen. Die großen Religionen haben die ersten Markenbilder erfunden und hatten kein Problem, sich die Vitas ihrer Namensgeber zurechtzubiegen. Jesus war kein Christ. Buddha kein Buddhist. Der Schwarm schwimmt und vornweg schwimmt ein „How to“- Tutorial.

Es ist nicht nur so, dass der Weg dich das Gehen lehrt; es funktioniert auch andersherum: wenn du wirklich aufmerksam bist, dann lehrt auch das Gehen dich den Weg und ruft dich zurück. Die tägliche Praxis hat sich ganz sacht in meinen Alltag geschlichen: Am Anfang schien mir eine halbe Stunde viel, dann eine Stunde. Heute meditiere ich eine Stunde am Morgen, wenn die Mädchen auf dem Weg in die Schule sind. Eine Stunde am Abend findet sich immer. Ohne sie behält der Tag ein offenes Ende.

Am Anfang scheint das vielleicht fast unmöglich, aber wenn du dir deinen Tagesablauf genau anschaust, wirst du jede Menge Zeit finden, in der du deine Sinne mit Inhalten beballerst, die deinen Geist, deinen Mut, deinen Willen nicht nähren. Schalte sie ab, schalte sie aus, mach Schluss damit. Es wird dir nichts fehlen. Im Gegenteil: Wenn du erkennst, das alle bedingten Erscheinungen die gleiche Charakteristika haben – zu entstehen, eine Zeit zu bleiben, wieder zu vergehen – dann gibt es keinen Grund mehr wütend oder eitel zu sein. Oder du bist weniger ernsthaft wütend und deine Eitelkeit wird leichter, wird ein Spiel, bis sie sich eines Tages ganz auflöst. An so vielen Stellen, wo früher Ablehnung oder Sehnsucht in mir war, ist heute Lachen. Je mehr du erfahren hast, dass ICH nur eine Illusion ist, dass auch dein Mitmensch nicht auf dich, sondern auf ein altes Muster reagiert, desto größer wird dein Herz. Und wenn das ICH ganz verschwunden ist, dann ist dein Herz alles, was bleibt:    

Mögen alle Wesen glücklich sein.

Mögen alle Wesen voller Liebe sein.

     XI.

Ich habe Sehnsucht nach einer Sangha. Ich habe Sehnsucht nach Menschen, die im Hier&Jetzt sind, die eine Sprache sprechen, die ich verstehe, die ja zur Welt und zum Weg sagen, die sich nicht hinter Schein-Heiligkeit verstecken. Der Buddha hat gelehrt, den eigenen Körper als vergänglich und bedingt anzusehen. Aber Verachtung von Schönheit und Lebendigkeit ist keine Qualität des Buddha. Vielleicht sprach er Pali, vielleicht sprach er Sanskrit, vielleicht sprach er eine Art indisches Sächsisch. Wie jeder Lehrer wollte er vor allem verstanden werden. Jede Sprache, in der Wahrheit gesprochen wird, ist heilig.

Es ist meine tiefe Herzensüberzeugung, dass der einzige Weg, das Leiden aller Wesen zu beenden, darin besteht, das eigene Leiden zu beenden. Denn wenn du versuchst, Verantwortung für das Leiden anderer Wesen zu übernehmen, ohne die Wurzel des eigenen Leiden erkannt und herausgerissen zu haben, wirst du das fremde Leiden nur vermehren und dein eigenes noch dazu. Du wirst mit deiner Energie wie ein frischer Wind sein, der in ein Feuer bläst und die Funken bis zum Himmel steigen lässt. Du wirst den fremden Wesen nicht helfen können und der Zorn über die Ohnmacht wird dich verbittern und verbrennen. Du fängst an der Welt Vorwürfe zu machen, dass sie sich nicht ändern lässt. Du gibst Anderen die Schuld. Du gibst dir die Schuld. Es ist das Gleiche. Du nährst deine Schatten. Wut und Zorn aus Enttäuschung erwachen zur Zeit an vielen Orten in der Welt; leider auch bei den Menschen die glauben, für das Gute und Schöne zu stehen. Ja, es gibt Zeiten, da scheint es so, als könnte Feuer nur mit Feuer bekämpft werden. Der Preis dafür ist viel verbrannte Erde.

Über Jahrtausende sind die Menschen, die meditieren, aus den Städten heraus in die Stille gegangen. Meditation ist das Gegenteil von jeder Form des Konsums; es entzieht sich dem Wettbewerb, lässt sich nicht gameifizieren. Was hinter geschlossenen Augen geschieht, bleibt ein Geheimnis. Du kannst keinen Wettbewerb draus machen, wer seine Stunde schneller sitzt. Auch eine Meisterschaft im „Schöner Sitzen“ hat nur ein mäßiges Vermarktungspotential. Ich glaube, dass Vipassana eine soziale Bewegung sein soll. Wir selbst sind uns die Schatten, durch die wir zum Licht müssen. Und wir sind klug genug zu wissen, dass jedes neu entzündete Licht auch einen neuen Schatten werfen wird.

Wir müssen zurück in die Städte. Wir müssen mit aller Kraft der Gelassenheit dahin, wo ein ruhiger und klarer Geist gebraucht wird – in den Zentren der Aufregung, in den Zentren der Umbrüche, in den Zentren der Macht. Wir müssen sichtbar werden. Stell dir eine Stadt vor wie Berlin, die 3x am Tag für eine Stunde anhält, um zu meditieren, um Inspiration zu sein. Stell dir die Millionen der Zornigen, Überflüssigen vor, die Erkennen, dass sie einer Illusion nachgelaufen sind; die ermächtig werden, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, die aus dem riesigen Hamsterrad ausbrechen könne, in die sie die Lüge der individuellen Freiheit gesperrt hat; die nichts mehr bei Google suchen, weil sie alles schon in sich gefunden haben.

Unmöglich?

2020 werden 2,87 Milliarden Menschen ein Smartphone besitzen – aus allen Kulturen der Welt, aus allen Bildungsschichten. Meditieren zu lernen ist einfacher, als ein Smartphone zu bedienen:

Die Empfindungen beobachten, wie sie entstehen.

Die Empfindungen beobachten, wie sie vergehen.

Die Empfindungen beobachten, wie sie entstehen und vergehen.

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