Der Tag beginnt 8Uhr am Morgen mit Schwallkotzen in der Gruppe. Fachbegriff: Vomitivo! Zuerst muss eine große Schale mit Zitronengras Sud getrunken werden, dann die fünffache Menge warmes Wasser hinterher und dann kommt alles im Strahl zurück. Ab in die Pflanzen! Es gibt Szenenapplaus für besonders schöne Fontänen. Debbie feuert an, Steve reicht das warme Wasser, die Schamanen stehen auf der Veranda und lachen sich kringelig.
Gemeinsames Kotzen am Morgen erzeugt Nähe. Wir sind schon viel gruppiger.
Ich sitze mit Dave am Deich. Die Luft ist weich, warm und feucht, die Sonne hat sich mit Schleierwolken bedeckt. Überall summt und zwitschert es. Ich hätte mir den Amazonas nie so kuschelig vorgestellt, sage ich Dave.
In Australien im Busch will dich alles essen, lacht Dave.
Dann lieber hier. Ich habe letzte Nacht von einem Thermomix geträumt, habe mich mit meiner Frau gestritten, erzähle ich.
Dave hat keine Ahnung, was ein Thermomix ist.
Ich will es nicht erklären.
Am frühen Nachmittag gibt es die Einweisung ins Ayahuasca Trinken – am Abend wird die erste Zeremonie stattfinden. Dinge zum Mitbringen: Wasser zum Mund ausspülen, Feuerzeug, Tabak. Eine Taschenlampe mit rotem Licht, wenn man Hilfe braucht. Vielleicht was Wärmeres zum Überziehen, es kann kühl werden. Eine klare Intention, weshalb man in die Zeremonie geht.
Die Pflanze ist von einer so unglaublichen Intelligenz, schwärmt Debbie, sie wird euch führen. Aber nur wenn ihr bereit seid, ihr zuzuhören, mit ihr zu reden! Glaubt nicht, dass sie sich einfach konsumieren lässt – sie ist eine weibliche Energie!
Nach dem Meeting gibt es persönliche Konsultationen mit den Schamanen. Die Liste mit der Reihenfolge der Termine steht im Speisesaal an der Tafel. Ich bin erst morgen dran, dann aber gleich als Erster.
Ich sitze neben Candy, die Blondine mit den vielen Tattoos. Sie ist aus Brighton, ist schon zum zweiten Mal im Tempel. Sie hat die Integration der Erfahrung nach dem ersten Aufenthalt hier im Amazonas nicht hinbekommen – zu viel Party, zu viel Koka. Diesmal will sie es besser machen. Ich bin ganz verliebt in Candy. Sie ist die blonde Variante aller meiner Exfrauen: Großer Mund, große Augen, kräftige Nase, provokativer Auftritt. Ja, Baby! Ich bin schon völlig auf dem Trip.
An Zeremonie-Abenden gibt es kein Essen. Vier Stunden vorher soll auch nichts mehr getrunken werden. Die Intention ist wichtig.
Was ist meine Intention?
Habe ich gerade vergessen. Ich wollte meine Wut loswerden. Aber meine Wut ist schon in der Vorbereitungszeit auf diesen Trip verflogen. Jetzt bin ich nur noch traurig – auf eine sehr entspannte Art.
Vor der Zeremonie gibt es Ying-Yang Yoga. Ich stehe etwas desorientiert im Eingang der Maloka. Irgendwas habe ich nicht mitgekriegt. Cora, die Leiterin der Zeremonie, erklärt mir, ich soll mich am besten nach dem Yoga gleich in der Halle bleiben. Also tapere ich zurück in mein Tambo, hole meine Zigaretten, das Feuerzeug, die Taschenlampe, eine Decke. Ich habe ein Glimmen im Bauch, das sich zu einer ausgewachsenen Nervosität entwickelt – bald geht es los.
In der Maloka sind die Matten ausgelegt, Plastikeimerchen stehen davor und Klopapier liegt bereit. An jeder Matten liegt ein Namensschilde. Ich bin zwischen dem lustigen Mädchen aus Hawaii und einer angestrengten Australierin platziert. Ich mache den Rest vom Yoga mit. Ich habe vier Wochen vor der Reise mit Jivamuktie-Yoga begonnen. Ich wollte total fit sein für die Reise – geistig und körperlich im Bestzustand, austrainiert und mental im Bestzustand.
In der letzten Woche vor dem Abflug hat es mich zerlegt – keine Kraft mehr, eine fiese Erkältung, Halsschmerzen. Mein Geist lief Amok. Freunde rieten mir, nicht zu fahren, nichts zu erzwingen. Ich ließ mich nicht drauf ein: Manchmal muss gezwungen werden! Es war die Rebellion der Gewohnheit gegen den Aufbruch ins Ungewisse: fahr nicht, lass alles so wie es ist! Indem Moment wurde mir klar, dass es für mich ums Ganze ging.
Am Abend vor dem Flug nach Peru war die Erkältung weg, war die Energie wieder da.
In der Mitte der Maloka liegen Matratzen für die MeisterInnen, geschmückt mit bunten Decken, darum herum stehen Petroleumleuchten. Die Maloka sieht festlich aus, hat eine mystische Aura, die Spitze des Daches verliert sich im Dunkel. Ich habe noch das schöne Mantra im Ohr, mit dem die Yogastunde ausklang. Ich habe Muffensausen, aber Hallo! Ich muss ständig pinkeln. Ich habe was gesucht, vor dem ich Angst habe? Hier ist es!
Ich schaue mich um – allen geht es so. Raus und rein, Schlangen vor den Klos. Ermutigendes zunickten, mal ´ne kurze Berührung. Ich klatsche Dave ab und umarme mich kurz mit Maxine.
Langsam zieht Ruhe ein. Die Schamanen kommen – zwei Männer, drei Frauen. Erst am Nachmittag ist noch der jüngere der beiden Männer dazu gestoßen. Jetzt sind die Maestros komplett. Sie kichern, giggeln, lassen sie auf den Matratzen nieder, rauchen, legen sich hin.
Sie klären die Energie, hat Cora erklärt, rufen die Geister.
Ich kann sie spüren.
Schatten tanzen durch die Halle, die Dachkonstruktion der Maloka öffnet sich wie ein Wurmloch in die Unendlichkeit, draußen verstummen die Frösche; das Raumschiff ist startklar. Cora und Slawek rücken zu Elena auf, der Schamanin, die mir direkt gegenübersitzt. Elena holt die große Flasche mit dem braunen Sud aus ihrer Tragetasche, wischt sie mit einem Lappen ab: Ayahuasca. Wer schon Erfahrung damit hat, bekommt ein Glas voll. Anfänger wie ich ein halbes. Ich habe keine Ahnung, was mich erwartet. Ich bin dran.
Ich setze mich zu Elena, Cora und Slawek. Cora fragt, wie es mir geht.
Aufgeregt bin ich. Gut, sage ich. Ich ziehe meine Intention stramm: Teilhabe.
Ich trinke mein Glas in einem Zug leer. Es schmeckt intensiv, nicht wirklich schlecht, aber tief, alt. Mich schüttelt.
Alle haben getrunken. Die Petroleumlampen werden rausgetragen. Es ist schwarz in der Maloka. Es dauert. Dann überflutet mich Wärme. Ich kenne das Gefühl. So geht jeder gute MDMA Trip los. Ich freue mich – eine bekannte Spur. Die Frösche setzen wieder ein. Später werde ich überzeugt davon sein, dass die Frösche die eigentlichen Meister der Zeremonie sind. Bunte Lichter bauen sich im Schwarz auf, geometrische Formen. Immer mehr Neons leuchten, bauen Gitter aus Licht, pulsieren und winden sich. Ich fühle mich gut. Ich fühle mich sicher. Ich bin auf einer Houseparty in den Neunzigern. Ich spüre den Rhythmus. Ich spüre, wie sich mein Lachen zu einem immer breiteren Grinsen verzieht. Berlin in den 90igern, das war mein Goldenes Zeitalter; die Geschichte war zu Ende, in den Straßen tanzte eine neue Generation und die Zukunft war unser.
Ich habe die ganze Zeit die Augen geschlossen. Ich muss kichern. Die Frösche ziehen mit dem Beat an. Ich wippe, mein Körper tanzt. Das Kichern wird stärker. Ich bin auf vertrautem Terrain; Berlin, Houseparty, sich zusammengehörig fühlen. Das ist Ayahuasca? Das ist okay, aber ich hätte mehr erwartet. Damit beeindruckt man einen alten Acidhead nicht! Da muss mehr kommen; ich habe die Sache im Griff hier.
Plötzlich setzt Singen ein. Es kommt von überall her, aber auf alle Fälle aus einer anderen Dimension. Ich habe so was noch nicht gehört. Es ist – scheußlich. Es ist unerträglich. Das sollen die Ikaro, die Pflanzengesänge der Shipivo Indianer sein? Es ist ganz bizarres Micky Mouse Gesinge, der Angriff einer außerirdischen Macht auf mein Bewusstsein. Ich will das nicht. Das soll aufhören. Ich will mich davon nicht berühren lassen. Ich kotze in mein Eimerchen.
Es hört auf.
Es hört in mir auf. Keine Lichter mehr, kein Wohlfühlen. Ich sitze tief traurig und allein auf meiner Matte und begreife langsam, was mir passiert: Das ist mein Muster, so bin ich. Ich versuche aus allem einen Witz zu machen, mich drüber zu stellen, mich nicht wirklich berühren zu lassen. Ich will teilhaben, aber ich will mich nicht einlassen. Dann kam meine Wut auf Uta hoch – sie war also doch noch da, die Wut. Sie lag abrufbereit in mir und hörte auf den Namen meiner Frau; verantwortlich für alles Trennende, all den Schmerz, den ich in mir trage. Während mein Kopf rotierte, Erinnerungsfetzen und alte Zornfragmente aufpoppten, wusste ich genau, wo das Ayahuasca gerade in mir arbeitete. Es arbeitete sich durch mich hindurch, tief in meinem Bauch, viel tiefer um noch irgendwas auskotzen zu können.
Die Schamanen beginnen ihre Runde zu machen; setzen sich vor jeden Teilnehmer hin, blasen Tabak in die Luft und singen Ikaros. Ich wollte nicht besungen werden. Ich wollte nicht von dieser Zärtlichkeit angefasst werden. Ich wollte allein auf meiner Matte bleiben, einsam im Weltall und ungetröstet. Das erste Lied lasse ich abperlen. Die zweite Stimme erwischt mich; eine kleine Melodie-Phrase, eine Obertonmodulation, etwas ganz Weiches, was meine Isolation aufbricht und dann bin ich nur noch eins: unendlich traurig, ganz schwer und nackt. Es fühlt sich richtig an. Ich muss Pupen. Alte Ayahuasca Weisheit: Trau niemals einem Furz! Klingt im Englischen nicht so Deutsch.
Die Zeremonie ist zu Ende und ich schaffe es gerade noch auf`s Klo. Purge wird Ayahuasca auch genannt – die Reinigung, das große Saubermachen.
Ich nehme meine Traurigkeit mit in den Schlaf. Sie fühlt sich gut und richtig an. Jeder hat jeden Grund, traurig zu sein.