Der Empfang war eher unerfreulich. Gleich am Anfang ging mir Key verloren. Ich stand ziemlich alleingelassen zwischen lauter Leuten in schwarzen Klamotten, die ihre Urlaubsbilder herumreichten und die Adressen unverfälschter griechischer Inseln austauschten, auf denen man für wenige Drachmen riesige Suflaki und, bis zur nächsten Saison, Natur pur bekam.
Da die Mädchen von der Komparserie nur nach Leuten Ausschau hielten, die entweder zu ihnen gehörten oder sie für zukünftige Hauptrollen entdecken konnten, hielt ich mich ans kalte Buffet. Es gab Lachs mit Meerettich und Leberwurst mit Trüffel. Die Weine waren aus biologischem Anbau. Ich nahm einen Riesling und dann noch einen.
Ein paar Gläser später hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden.
Sie stand mit dem Rücken an die Wand gelehnt, hatte hennarotes Haar und graubraune Augen. Mit von Tequila und Weißwein beschwingtem Schritt ging ich zu ihr rüber und fragte, ob sie Lust hätte, mit mir zu tanzen. »Na los«, sagte sie und steckte die Hände in die Tasche ihrer Fliegerjacke.
Für meine eine freie Hand hätte ich gern mein grünkariertes Jackett gehabt. Es mußte auch so gehen.
Ich tanzte zum Takt einer imaginären Musik um sie herum und verschüttete etwas Riesling. Das war nicht schlimm. Ich sagte ihr, dass ich wüßte, wo es Musik gäbe. Sie müsse mich nur begleiten.
»Vielleicht«, sagte sie.
Vielleicht war nicht toll.
Sie hätte JA sagen oder mich beschimpfen müssen.
Vielleicht ist nix.
Ich brauchte ein neues Glas.
Als ich mit zwei Gläsern in der Hand zurückkam, stand ein Ersatztarzan neben ihr. Er war gegen einsneunzig und so braungebrannt, dass ich unwillkürlich an Hautkrebs dachte.
Zu seinem blonden Pferdeschwanz trug er eine schwarze Lederhose. Aus jeder Pore quoll Mann.
Der Riese lächelte mir zu. Als er nach ein paar leise gewechselten Worten wieder ging, raunte er mir noch einen Auftrag ins Ohr: »Wehe, du unterhältst meine Freundin nicht gut.«
Ich wollte mein Bestes geben.
Er hatte ihr einen Kuß aufs Haar gehaucht. Sehr schönes Bild. Sobald er außer Sichtweite war, nahm ich ihren Arm.
»Ich weiß nicht«, sagte sie, »vielleicht…«
Ihr Oberarm war schlank, aber nicht dünn. Ihr Hintern tanzte vor mir, als wir zum Ausgang gingen.

»Wir fahren zu dir«, ich war sehr entschlossen und legte ihr einen Arm um die Schulter. Sie schmiegte sich an mich und nannte dem Taxifahrer eine Adresse, die ich nicht verstand.
Draußen war es blau, und die Armaturen des Taxis leuchteten grün. Das Auto war für lange Strecken gebaut. Ich drückte meine Lippen in ihren Nacken, unter ihrer Jacke roch sie nach Leder und einem schweren Parfüm. Ich dachte an die Rothaarige, und wie es wohl wäre, wenn…
»Nimm die Hand da weg«, sagte sie.
»Irgendwas nicht okay?« fragte ich.
Es war alles okay. Sie klopfte dem Fahrer auf die Schulter und nannte eine andere Adresse.
»Was ist denn los«, wollte ich wissen.
Sie schüttelte den Kopf. »Der Nollendorfplatz ist so ein idealer Platz zum Wenden. Ich habe Hunger und dachte, wir fahren noch kurz in die Paris Bar.«
Aus Verzweiflung fragte ich nach ihrem Namen.
Sie hieß Ruth.
Auf dem Kurfürstendamm war Rush-hour.
Junge Männer führten ihre Motorräder aus. Dicke BMWs schlichen an den Bürgersteigen entlang. Die Fahrer spiegelten sich in den glänzenden Augen der Touristen. Die Mädchen in den Bodystockings waren sehr schön. Überall glänzten Lichter. In der Mitte hatte die Stadt etwas von einem aufgeschlitzten Zirkuszelt. Ich starrte hinein.
Die Paris Bar war gut besucht, ohne voll zu sein. Noch fehlte ein großer Teil des Stammpublikums. Seit die neue schwäbische Küche ihren Siegeszug angetreten hatte, war französisch nicht mehr trendy. Zum Trinken war es noch immer ein guter Platz.
Ein Kellner kam auf uns zu, um uns einen Tisch zuzuweisen.
Nicht weit von der Frau und mir saß ein national bekannter Spaßmacher im Kreis derer, die um ihn sitzen durften. Er schüttelte sein dünnes blondes Haar und sprach schnelle, abgehackte Sätze. Ich schaute ihm zu und war enttäuscht.
Er wirkte am Tisch wie auf der Bühne. Nur dass er nicht spaßig war.
Wenn einer nicht anders kann, dann ist er kein Künstler, sondern behindert.
Die Frau hatte einen Crevettensalat und einen Weißwein bestellt. Ich nahm einen Gin-Tonic. »Ich bezahle«, sagte ich, »und dann ficken wir.« Ich hatte mein großes Lächeln aufgezogen. »Du behältst dabei die Cowboystiefel an. Das ist nicht zuviel verlangt!«
»Vorhin im Auto wäre alles möglich gewesen«, sagt sie.
»Du hättest nicht nachgeben dürfen. Du hättest mich schlagen müssen. Jetzt glaube ich dir nicht mehr.« Ihr Lächeln war nicht schlecht.
Ich hätte aufstehen und gehen sollen.
Ich blieb sitzen.
Viele Dinge, die wir mögen, sind etwas schwer, sagt die Reklame. Recht hat sie. Ein Pool mit Gin-Tonic wäre eine prima Alternative.
Ich merkte, dass ich nicht mehr ganz nüchtern war, und schnippte dem Garçon.
Armin kam herein.
Armin war der Pferdeschwanz tragende Freund der Frau, mit der ich mich gerade betrank. Sie hatte mir erklärt, warum sie sich nicht von ihm trennen könne und was für ein Problem das für sie sei.
Ich hatte nicht zugehört. Der Gedanke, mich mit diesem Prachtexemplar schlagen zu müssen, amüsierte mich.
Daran war der Alkohol nicht schuldlos. Ich nahm mir vor, ihm in die Eier zu treten. Das war nicht originell, aber wirksam.
Armin setzte sich zu uns.
Armin hatte Glück gehabt. Glück ist, wenn man die richtigen Leute trifft. Armin hatte sich auf dem Fest die ganze Zeit mit dem Kameramann unterhalten. Der Kameramann hatte schon in Hollywood gearbeitet. Er hatte von der Möglichkeit gesprochen, dass Armin bei ihm als Assistent anfangen könne. Er hatte ihm seine Telefonnummer gegeben, weil Armin etwas von Licht verstand. Der Kameramann suchte immer Männer, die etwas von Licht verstehen. Armin sollte ihn anrufen. Armin sagte sich, dass das ein Grund zum Feiern sei. Er hatte sich auf den Weg gemacht, um Ruth zu suchen.
Armin bestellte Gin-Tonics und lächelte glücklich in eine unbestimmte Feme. Wir stießen an. Unter dem Tisch rieb seine Freundin ihren Unterschenkel an meiner Wade. Armin war bestimmt kein schlechter Kerl. Er hatte nur kein Glück.
Dafür sah er zu gut aus. Das war ja auch was.
Ich dachte, dass es Zeit sei, die beiden allein zu lassen. Ich nuschelte was von »Zeit zu gehen…«, schob das Bein seiner Freundin zur Seite und stand auf.
Das Aufstehen bereitete mir weniger Mühe, als ich vermutet hatte. Fast auf Anhieb kam ich hoch. Ich schob den Stuhl zur Seite und wich dem Nachbartisch aus, der mich rempeln wollte. Von Null auf gleich war die Bar propevoll geworden.
Auf einem ruhigen Fleck gelang es mir, mich zur vollen Größe aufzurichten. Gelassen schaute ich mich um, als ich plötzlich Key im Gewühl entdeckte. Ich hatte ihn auf diesem blöden Fest einfach sitzenlassen! Er brauchte jemanden, mit dem er reden konnte. Vor Rührung zuckte mein Magen. Das behielt ich im Griff.
Dort, wo ich Key gesehen hatte, war er nicht mehr. Dafür hatte
Ich zwei Gläser in den Händen, die ich schnell austrinken musste.
Ich bückte mich kurz zu meinen Fußspitzen. Als ich mir die Sohlen anschauen wollte, hielt mich jemand fest. Die Hand kannte ich nicht. Ich grüßte sie trotzdem. Ich schaute in die Gesichter um mich und war mir sicher, dass sie mir nichts zu sagen hatten, was ich nicht selbst schon besser wußte. Geistesgegenwärtig riß ich mein grünkariertes Jackett von der Lehne des Stuhles und erreichte den Ausgang, ohne abzusetzen.

Die frische Luft umfing mich auf das Angenehmste. Ich hatte so was wie Meeresrauschen im Ohr.
Ich war schon lange keinen Strand mehr entlanggelaufen.
Ich verspürte ein großes Bedürfnis nach Klarheit. Nicht nur für mich, sondern für die Welt. In diesem Wunsch waren Key, Claudia, Ruth, Armin, Birke, die rothaarige Fee und sogar Karen mit eingeschlossen.
Laufen ist ein Weg zur Klarheit. Früher war ich sehr viel gelaufen, immer am Neckar lang. Weil immer jemand den Anfang machen muß, lief ich schon mal los.
Mit vor Begeisterung quietschenden Bremsen hielten einige Autos vor mir. Passanten riefen mir Aufmunterndes zu. Ich sah, dass der Himmel zu den Rändern hin heller wurde. Keine Sterne, sondern Grenze.
Die Vögel, dachte ich, wenn sie Flügel hätten, würden sie wegfliegen. Sie waren alle da.

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