Der Facebook Algorithmus war schuld. Er hat mir die Anzeige für das Retreat immer wieder in die Timeline gespielt. Irgendwann habe ich doch geklickt und dann gebucht. Ayahuasca in Berlin „zur Inneren Entwicklung und Psychotherapeutischen Anwendung“ – das klang spannend, Peru ist weit und für eine Extraerfahrung auf dem kurzen Weg war ich immer zu haben. Mal schauen.

Jetzt fahre ich durch eine Gegend in Berlin, in der ich noch nie war. Vor Reihendoppelhäusern stehen Ford Mustang und große PickUps; Brandenburg ist nicht mehr weit. Das Navi sagt, dass die Straße nach der Allee zu Ende ist. Die Wegbeschreibung, die ich per Mail bekommen habe, meint, es geht noch um eine Ecke.

Ich parke das Auto vor einem unscheinbaren Einfamilienhaus. Die Türen stehen offen, im Garten sitzen Leute, einer spielt Gitarre. Sie schauen mich interessiert an.

„Ayahuasca International?“ frage ich.

Gekicher als Antwort. Das fängt gut an. Wo Ayahuasca regiert, ist Lachen nicht weit. Ein junger Mann führt mich zu einem improvisierten Büro am Eingang. Hinterm Laptop sitzt eine junge Frau.

„Hallo.“ sage ich.

„Bin gleich fertig.“ Sagt sie.

Ich sage ihr, dass ich Warten kann. Habe ich schon vor Jahren gelernt. Kurze Zeit später habe ich Monikas, so heißt die junge Frau, ungeteilte Aufmerksamkeit. Ich sage meinen Namen und drücke ihr den ausgefüllten Fragebogen in die Hand, den ich mitbringen sollte.

„Oh, schon alles ausgefüllt. Sehr deutsch.“ Kommentiert sie mit einem süddeutschen Akzent. Höre ich da was Schwäbisches raus? Die soll mir noch mal mit „sehr Deutsch“ kommen!

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Im ehemaligen Wohnzimmer des Hauses liegen lauter Luftmatratzen nebeneinander, an der Stirnseite des Raumes steht eine tragbare Sound Anlage und drumherum liegen Rasseln, Klangschalen und Federn. Ich gehe auf die Terrasse und komme schnell mit einer Frau aus Kopenhagen ins Gespräch. Sie erzählt mir von der tiefen Erfahrung, die sie letzte Nacht hatte. Ihr Freund meint, er habe schwer mit seinen Dämonen zu kämpfen gehabt, aber jetzt gehe es ihm viel besser. Ob ich denn schon Ayahuasca Erfahrung habe?

Ich erzähle kurz von meinem Trip nach Peru, den Ritualen der Shipibo-Heiler.

Das bringt mir Respekt ein.

Die Zeremonie fängt erst gegen 22.00Uhr an. Vorher gibt Darwin, einen dünnen, langhaarigen Kolumbianer, eine Einweisung in die Medizin. Darwin wird die Zeremonie leiten. Er spricht Spanisch und seine langen Finger tanzen beim Sprechen. Monika übersetzt ihn ins Englische. Ich bin mir nicht sicher, wie viel Information dabei auf der Strecke bleibt. Aber Darwins Energie ist liebevoll und authentisch. Das gefällt mir.

Vor dem Ayahuasca gibt es Rapé, den heiligen Schnupftabak der Amazonas-Bewohner. Es ist eine Mischung aus Kräutern, Samen, Baumasche und Mapacho, dem Urwald Tabak, dem Vater aller Spirit Pflanzen. Darwin bläst mir die Mischung durch ein kleines Bambusrohr in beide Nasenlöcher. Mir schießen Tränen in die Augen. Ein großer Löffel Wasabi ist nichts dagegen. Nachdem sich Alle die Tränen abgewischt und die Nasen geputzt haben, treten wir zu Ayahuasca Ausgabe an.

Als Neuling in der Zeremonie von Aya International bekomme ich nur ein Anfängergläschen. Ehrlich, ich liebe diesen bittersauren schrecklichen Geschmack des Suds. Er ist ein kleiner Preis für eine große Erfahrung und mein Herz hüpft vor Freude.

Ich sitze auf meiner Luftmatratze neben Simon aus Dänemark und warte, dass die Ranke aufsteigt und meine Blut-Hirn-Schranke überwindet. Kerzen brennen, draußen ist es stockdunkel, die Atmosphäre ist dicht. Vorn sitzen Darwin und die Betreuer, Monika, Maria und Omer, ein wuschelköpfiger Israeli aus Berlin. Aus den Boxen klingt esoterische Indianermucke. Okay, das muss man nehmen.

Als ich in der Vorstellungsrunde von meiner Shipibo-Erfahrung im Amazonas erzählte, bat Darwin mich, keine Erwartung zu haben. Keine Erwartung ist auch ein Konzept. Ich meine, was soll`s – wir sind ständig voller Erwartung. Unser Geist funktioniert so – erwarten, vergleichen, urteilen. Bitte denke nicht an ein grünes Krokodil! Schon isses da. Ätsch!

Das hier ist die Essenz, sagt Darwin.

Das sagen sie alle, denke ich.

Ich versuche tief zu spüren. Aber kaum ist die Runde rum, haben alle getrunken, ist die Indianermukke vorbei, wird die Gitarre ausgepackt. Das ist ja mal ´ne Überraschung. Die Lieder preisen Ayahuasca, die Schönheit der Reinigung und die Klärung des Geistes. Das hat Witz und Charme und Darwin ist ein wirklich großartiger Sänger. Seine Finger huschen über die Saiten, er kniet sich richtig rein. Wenn die ganze Betreuer Mannschaft mit Zweitstimmen, Rasseln und Rahmentrommel einsetzen, wird es großes Kino. Wenn du aus der strengen Shipibo-Tradition kommst, in der geschwiegen wurde und die Stille heilig war, wirkt es verwirrend. Der Gedanke, nach einem Eimerchen Sangria zu fragen, erscheint mir nicht abwegig. Ich gebe mir Mühe, etwas vom Zauber zu erhaschen. Aber wenn du dir Mühe geben musst, dann wird es schwierige mit dem Zauber. Es ist wie der Versuch, noch an den Weihnachtsmann zu glauben, obwohl du weißt, dass es der Nachbar ist, der im roten Mantel steckt. Inzwischen ist eine Stunde vergangen. Ich habe ein kleines, warmes Gefühl im Bauch. Das ist angenehm, aber mehr auch nicht.

Die Mannschaft um Darwin marschiert jetzt mit Klangschalen durch den Raum und erzeugt diese hohen, vibrierenden Töne, wie sie auch die Amazonas-MeisterInnen mit ihren Icaro Gesängen erzeugten. Ich erkenne die Struktur: Jenseits von Geschmack und Stil gibt es Wahrheit, folgt die Zeremonie dem großen Plan. Ich spüre sie. Das Ayahuasca in mir zuckt und würde mich gern reinigen, aber es ist zu schwach. Ich habe von sensiblen Menschen gehört, die durch reine Anwesenheit in einer Zeremonie die Kraft der Ranke empfangen können. Ich gehöre nicht dazu.

Kaum, dass die Musikanten eine Pause machen, bin ich vorn bei Darwin und bitte um einen Booster. Booster ist der Fachbegriff für „Einer geht noch!“

Die kleine, tapfere Pfütze Aya in mir verbindet sich mit der großzügigen Nachgabe und ich bin dabei, spüre die Wärme, öffne mich. Wahrheit ist das, was Herz und Verstand im gleichen Moment zum Schwingen bringt. Wahrheit ist eine körperliche Erfahrung, die befreit. Alle Konzepte, denen die Körperdimension fehlt, sind nur Meinungen und der Rede nicht wert.

Ich spüre das Ayahuasca in mir arbeiten und endlich stecke ich meinen Kopf in die Plastiktüte; hier wird in Tüten gekotzt, die sich jeder nehmen kann. Das ist unaufwendiger als Eimer hinzustellen und du bist beweglicher im Raum. Ich werfe meine Plastiktüte in den Müll und mit einem Mal weiß ich: Der falsche Druck musste raus, ist raus, ich muss mir nichts mehr beweisen. Ich spüre, dass mein Business Leben vorbei geht. Genug Power Point Präsentationen gemacht, genug Firmen gegründet. Mein Leben war bis hier her so voll und reich – wenn du es mit der gleichen Menge Wasser verdünnen würdest, gäbe es immer noch eine dicke, nahrhafte Suppe.

Nichts mehr Müssen wollen, nur noch Wollen wollen. Das ist die Wahrheit meines gegenwärtigen Momentes. Wieder ein Reisender werden, wie ich es ganz früher mal war. Wieder ein Heizer sein. Ich stehe auf, tanze. Ich umarme Darwin, der mit Fingerschnippen sanft vor sich hin grooved. Das ist keine Frage mehr von Geschmack und Stil, von Gefallen oder Nichtgefallen. Das ist die Verbindung mit allem, das ist Fliegen.

Am Morgen bei der Integration der nächtlichen Erfahrung läuft Darwin zu Höchstform auf. Atmen, sagt er und dann: Stopp. Wenn dir etwas aggressiv begegnet: Stopp, danke, ich liebe Dich. Alles was dir begegnet in deinem Leben, ist deine Medizin. Wachse daran. Wenn du in deine Tüte kotzt und sie zum Eimer trägst – stopp, sage „Danke, ich liebe Dich.“ Wenn du deinen Vater auskotzt, weil dein Vater dir lange quer lag, dann „Danke, ich liebe Dich.“ Später holst du ihn dir gereinigt zurück. Du brauchst ihn.

Ich liege in der Sonne, lese. Ich habe keine Lust zu reden. Aber ich genieße die Anwesenheit der anderen Besucher. Es wird der letzte Abend sein, das Retreat läuft schon seit 5 Tagen. Die ersten Teilnehmer sind bereits abgereist, die Gruppe wird kleiner und rückt zusammen. Ich bin gerade 24h dabei und doch ein Teil.

Die Zeremonie beginnt früher. Keine Vorstellungsrunde mehr, keine lange Einweisung – alles schon gesagt. Die Intention für den Abend: Geht in den Körper, bringt das Ayahuasca in jede Zelle, tanzt es! Es gibt Rapé und später für jeden ein Glas vom tiefbraunen Saft. Die Mädchen sind für die Musik verantwortlich. Nach der Fiesta jetzt Disco Ayahuasca? Kurz tappe ich wieder in die Geschmacksfall, aber was denke ich denn? Das die Rebe nicht feiert, die Göttin nicht tanzt? Ich trinke nach und gebe mich hin – Liebe. Ich werde alt, das spüre ich. Ich habe keine Angst mehr davor. Weil Altwerden eben auch Werden ist. Danke.

Spät in der Nacht stehe ich mit Simon unterm Sternenhimmel. Ich habe Deutschland nie gemocht, erzählt mir Simon, wegen der Geschichten von der Besetzung Dänemarks und so. Jetzt bin ich hier in Berlin und mir ist, als würden alte Narben heilen. Was gibt es da noch zu sagen? Wir umarmen uns.

Es ist Sonntagmittag, ich wäre gern noch eine Nacht geblieben. Das Retreat ist vorbei. Ich sitze wieder im Auto. Der Rückweg ist viel kürzer – links, rechts, zack Heerstraße. Ich lasse zwei der Mitreisenden am Theodor-Heuss-Platz aus dem Auto, freue mich auf die Familie.

Ich stehe auf dem Balkon, die Sonne scheint, der Baum vor meinem Fenster hat noch kein einziges gelbes Blatt. Ich denke, die Göttin knüpft ein Netz um die Welt, der Amazonas beginnt sich selbst zu retten. In diesem Netz ist Ayahuasca International ein lustiger Knoten, der ernsthaft arbeitet, sich aber nicht zu ernst nimmt. Tanzen ist eine gute Maßnahme zur Rettung unserer Seelen und der Welt – wenigstens so alt wie Ayahuasca. Du must der Rebe nur zuschauen. Sie tanz langsam. Stopp.

Thank you, Darwin. Ich liebe Dich!

 

Musik zum Text:

https://www.youtube.com/watch?v=xZAhy1G5GCA

Ayahuasca International:

https://www.facebook.com/ayahuascaberlin/?fref=ts

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www.albertojosevarela.com

 

 

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