August, 14. 2016

Eine Freundin schrieb mir in der Nacht eine Mail: Ich war vor Jahren mit Freunden abends mal bei ihm. Als wir gehen wollten, fragte er mich, ob ich nicht noch bleiben wolle, um zu ficken. Als Erklärung endete die Mail mit einem Link: http://www.danieljosefsohn.com

Der-himmel-oeffnet-sich-flugzeuge-fallen-herab-und-engel-verteilen-mona-lisas-an-alle. Josefsohn

Ich habe eine Weile gebraucht, um es zu kapieren: Daniel Josefsohn ist tot. Der Fotograf, der Freund.

Ich habe Daniel in den Neunzigern kennengelernt. Es war eher andersrum: Daniel hat mich kennengelernt. Ich bin kein guter Kennenlerner. Aber die Werbeagentur, die ich mit einem Freund betrieb, www.Melle.Pufe.de, hatte damals gerade einen Lauf. Wir machten Dinge, die wir mochten. Wir arbeiteten nicht für Firmen, die wir nicht mochten. Wir hielten das damals für normal. War es aber nicht. Das erfuhren wir später.

Daniel lud mich in sein Atelier ein, eine Remise in Mitte. „Melle, willste was essen, willste trinken, willste koksen?“

Hunger hatte ich keinen.

Wir guckten Bilder, wir laberten uns schwindelig. Daniel war gerade aus Hamburg nach Berlin gezogen. Er wollte kein Werbefotograf mehr sein, hatte keine Lust mehr auf „Springer&Jacobi-Scheiße mit Premiumlicht.“ Er wollte Kunst machen. Hamburg war damals der Werbetempel Deutschlands. Daniel fuhr einen 911er und das Geld lief ihm aus der Nase.

Das war vorbei. Kunst nimmt zuerst sehr viel, bevor sie was gibt. Ehrlich: Zuerst nimmt sie Geld.

Leider waren die Jobs zum größten Teil in Hamburg geblieben. Daniel brauchte Geld. „Melle, haste ´nen Job für mich? Was schickes mit Premium Licht? Kann ich wie kein anderer.“

Irgendwas ging immer. Es war nicht einfach. Berlin wollte endlich wie alle richtigen Städte aussehen – wie New York sowieso, wie London, wenn`s nur kleiner ging, dann wenigstens wie München. Nur nicht wie Berlin gerade aussah, das bitte nicht! Arm aber sexy war noch kein Verkaufsargument. Es war gerade nur arm. Daniel liebte Berlin wie es war. Ich liebte Berlin wie es war. Berlin liebte sich nicht. Also verkauften wir Premium-Licht, großes Kino! War nicht einfach. Brauchte jede Menge Überzeugungsarbeit. Aber immer, wenn es in der Bergstrasse 27 ganz knapp wurde mit Kohle, kriegten wir wieder was hin.

Ich überredete Partner für Berlin, die Marketingorganisation der Stadt, ein paar neue Aufnahmen am Brandenburger Tor zu machen – Premium Licht, Premium Licht, ramtamtam! Wir sperrten den Pariser Platz und bekamen Zugang zum und auf das Tor. Nachdem der offizielle Teil vorbei war, machten wir das Bild, weswegen wir ans Tor gewollt hatten – nackt, mit Sturmtruppenhelm und Geldkoffer. Das eine Foto wurde gut und zierte ein paar Broschüren, das andere wurde berühmt:

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http://www.danieljosefsohn.com/wp-content/uploads/2014/07/1.08_BRANDENBURG_GATE-_09_11_89-1600×1200.jpg

Wenn ich heute darüber nachdenke, dann hörte der Spaß auf, als das Internet seinen Siegeszug antrat – New Economy und so. Wir dachten „New,“ aber es ging um Ökonomie. Wir setzen mit Melle.Pufe voll drauf, digitalisierten unsere Seelen, wurden ein großer, bunter Fleck auf der Internetblase 1.0. Daniel und ich sahen uns wenig in der Zeit. Ich machte Business. Dann fielen in New York die Türme, platzte die Internetblase; alles gleichzeitig. Dann platzte Melle.Pufe. 2001 war kein gutes Jahr. Nein, Melle.Pufe ging eher die Luft aus, wie einem Ballon, der ein kleines Loch hat. Mir ging die Luft aus. Die Controller übernehmen die Kontrolle und die Werbung war im Arsch.

Daniel machte große Bilder für kleine Magazine, für die verrückten Ecken hinten im Feuilleton, für die letzten Nester des Widerstandes in der Sturmflut des Mittelmaßes. Später kamen Ausstellungen dazu. Daniel war Künstler. Geld war immer noch knapp.

Wir saßen wieder öfter in der Remise, koksten, laberten uns wund.

Daniel erzählte von den Bildern, die er machen wollte und auch machte. Ich erzählte von den Büchern, die ich schreiben wollte, aber nicht schrieb. Wenn es bei ihm gar nicht mehr ging, schob ich ein paar Scheine rüber. Neidisch war ich trotzdem. Nach kleinen Summen fragte Daniel nie, dafür war es sich zu schade.

War er auch.

Später berappelte ich mich wieder und war viel im internationalen Duftgeschäft unterwegs. Machte Kampagnen für jede Menge Lifestyle-Düfte von Procter&Gamble. Flog nach Hawaii, Kapstadt und Buenos Aires; internationale Bildsprache, internationale Fotografen, internationales Mittelmaß.

Daniel bastelte an seinem Duft-Konzept: MoslBuddJewChristHinDao – damit wir uns alle Riechen können. „Melle, das müssen die doch bei Procter&Gamble machen. Das wird der Hit!“

Procter&Gamble musste gar nicht. Aber ich konnte Procter einen Trendworkshop in Berlin verkaufen. Daniel war einer der Hauptreferenten. Die Procters erkundeten Neuköln und Friedrichshain zu Fuß. Neuköln 2006 war noch was anderes. Es wurde eine sehr lustige, sehr betrunkene Veranstaltung. MoslBuddJewChristHinDao machten sie trotzdem nicht. Aber sie zahlten gut, auch Daniel.

Als meine Frau immer schlimmer krank wurde, brauchte ich jemanden, der zuhören konnte. Daniel war es nicht. Daniel wollte selber reden – über seine Projekte und ohne Pause, bis er beschloss, dass genug geredet worden war und der Dealer angerufen wurde. Ich war mit meiner Familie beschäftigt, den Kinder, dem Schmerz, der Wut. Wenn ich noch Zeit hatte, saß ich nachts am Computer und schrieb mir kleine Fluchten aus der Welt.

So gingen die Jahre. Vielleicht waren wir noch Freunde, aber wir hatten keine Zeit dafür. Vielleicht waren wir nie Freunde gewesen, sondern nur für eine Zeit auf dem gleichen Trip. Ich war gerade in Paris, als ich die Nachricht bekam, dass Daniel einen Schlaganfall bekommen hatte. Bald war klar, er würde behindert bleiben. Daniel im Rollstuhl, das war nicht vorstellbar. Ich ging nicht zu ihm, besuchte ihn nicht. Ich kniff. Ich hatte nach Utas Krebs genug von Krankheit. Ich wollte nicht mehr. Irgendwann war dann die Zeit zu lang geworden, um ohne Schuldgefühl bei ihm aufzutauchen.

Daniel kämpfte – mit dem Leben, dem Rollstuhl, dem Bild von sich. Er machte in dieser Zeit seine schönsten Arbeiten, finde ich – so zärtlich, so zerbrechlich, wie er vielleicht immer schon gewesen war. Nur wer innerlich verletzt ist, stürzt sich mit soviel Verve in die große Geste.

Lieber Daniel Josefsohn, als ich zum letzten Mal vor drei Wochen vor Deiner Tür stand, hast Du gesagt: „Oh Melle, bitte heute nicht. Komm ein andermal wieder.“ Du wirst mir verzeihen, wenn ich mir für den nächsten Besuch bei Dir noch ein paar Jahre Zeit lasse. Du warst manchmal kaum zu ertragen, aber immer eine Inspiration. Ich hoffe, sie stecken Dich nicht in irgend einen jüdischen Himmel und ich wünsche mir auch nicht, dass Du von oben auf uns herab schaust. Der Gedanke wäre mir unangenehm. Liebe. Gute Reise, Dein Hendrick Melle

Facebook, 14.08.16

 

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