Ich sitze auf der zerschlissenen Bank überm hinteren Radkasten des Busses und habe Schiss. Frage mich, auf was ich mich da eingelassen habe. Der Bus ist eine Ruine. Es riecht nach Diesel, durch die zerfressenen Dichtungen der Fenster spritz Wasser herein. Draußen geht gerade ein Wolkenbruch nieder. Auf den anderen Bänken des Busses sitzen lauter fremde Menschen – meine Gruppe, mit der ich für zwölf Tage in den Regenwald fahre, um Ayahuasca zu trinken.

Ayahuasca, die Rebe mit Seele, ist ein psychoaktiver Pflanzensud, den die indigenen Völker Südamerikas zur Heilung von psychischen und physischen Krankheiten einsetzen. Bin ich krank? Eher nicht. Aber wer kann schon von sich sagen, dass er völlig gesund ist. Bin ich neugierig? Auf alle Fälle!

Heute, kurz nach 11Uhr, sind wir vom Treffpunkt vor dem El Dorado Hotel in Iquitos losgefahren. Iquitos ist eine Stadt mit 400.000 Einwohner mitten in Peru, im Amazonasbecken, und nur mit dem Flugzeug oder mit dem Boot zu erreichen. Vom Kautschuk-Boom sind die Jungendstil-Fassaden übriggeblieben und von Werner Herzog der Film Fitzccaraldo. Meine Reise begann vor drei Tagen in Berlin Tegel. Über Amsterdam und Lima bin ich ca. 11.000km geflogen, um hierher anzukommen. Wasser tropft vom Dach des Busses. Auf der ersten Kreuzung verreckt der Motor. Rings um den Bus wird gehupt und diskutiert. Es dauert, bis er wieder anspringt. Dann geht es die große Ausfallstraße entlang Richtung Flughafen, an einer Kaserne und einem Kloster vorbei, durch Pfützen wie Meere, umkreist von wilden Rudeln Motorrikschas.

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Das lockige Hippie-Mädchen hinter mir spricht die ganze Zeit mit ihrer Nachbarin über ihre DMT Erfahrungen. Sie ist aufgeregt. Ihre schwarzen Augen glänzen. Ich schau zu Dave und Maxine rüber, dem Australischen Geschwisterpaar. Ich habe sie am Vortag in der Hotel-Lobby kennengelernt und mit ihnen gestern Abend im Café am Fluss gesessen. Sie sind mit sich beschäftigt. Maxine hat ihren Bruder hierhergebracht, um ihm wieder Lebensmut einzuflößen. Das weiß ich aber noch nicht.

Durch den Mittelgang von mir getrennt, sitzt eine blonde, junge Frau mit großen Tattoos an den Armen. Sie hält ihren Rucksack fest umarmt. Ich bin ihr schon auf dem Flughafen in Lima und später im Flugzeug hierher begegnet. Ich wusste sofort, dass sie auf dem gleichen Trip ist wie ich. Sie hat mich nicht gesehen. Auch der riesige Holländer ist da. Er saß gestern Abend am Nachbartisch im „Dawn on the Amazon“ Café, als eine attraktive Amerikanerin versuchte, ihn für die Nacht oder das Leben klar zu machen. Er blieb standhaft. Ich fahre morgen in den Amazonas, hörte ich ihn sagen, um Ayahuasca zu trinken. Nein, kein Alkohol. Später erzählt er mir, dass er lange beim Militär war; Fallschirmjäger und Spezialeinsätze in Afrika. Da ist viel Schattenarbeit zu tun.

Vor dem Flughafen biegt der Bus in eine Seitenstraße. Der Regen hat aufgehört, die Sonne sticht und trocknet alles in Sekunden. Wir fahren über eine holprige Lehmpiste Richtung Bootsanleger. Steve vom Temple, ein Amerikaner mit Asiatischen Wurzeln, nennt es Hafen. Er verteilt Wasser in Plastikflaschen. Alle sollten bitte ihre Gummistiefel anziehen. Meine sind oben auf dem Dach des Busses, unter der Regenplane. Ich habe sie mir noch schnell vom Concierge des Hotels besorgen lassen. Ich wollte keine Gummistiefel von Berlin nach Iquitos tragen.

Unsere Sachen werden vom Bus zum Bootsanleger gebracht. Zwei lange, schmale Holzboote in Gelb und Rot liegen vor uns im Wasser.

Ist das der Amazonas, auf dessen Wasser ich schaue?

Nein, ist er nicht. Es ist der Rio Nanay.

Unser Gepäck wird in das rote Boot geladen, wir steigen in das gelbe. Die Außenborder knattern, wir ziehen uns auf Anweisung Rettungswesten über und los geht es – der Fluss gleitet vorbei, manchmal tauchen Stelzenhäuser am Ufer auf, Kinder winken herüber. Noch führt der Fluss von der Regenzeit hohes Wasser. Ich tauche meine Hand in das weiche Nass.

„Kannst du bei uns nicht machen!“ Sagte Maxine und lacht. „Da hast du `n Crock am Arm, dass dich sofort ins Wasser zieht.“

Ich lache und ziehe vorsichtshalber die Hand wieder zurück. Mir schräg gegenüber sitzt ein Mutter-Tochter Paar aus L.A. Ich habe mir ihre Namen nicht gemerkt. Sie halten beide die gleichen, farblich abgestimmten Designer-Trinkflaschen in den Händen. Die Mutter erklärt den Umsitzenden, dass ihre Tochter gerade ihr Medizinstudium abgeschlossen hat. Die Tochter sagt nichts. Ich frage mich, ob sie sprechen kann. Vielleicht ist sie ja stumm? Ist sie nicht. Das werde ich später erfahren. Da sind wir schon von der Göttin verzaubert.

Momentan fühlt sich alles seltsam an.

Nach einer knappen Stunde steigen wir von dem großen Boot in ein kleines. Das Wasser steht noch hoch genug, sodass wir näher an den Tempel ranfahren können. Kurz vor dem Ziel läuft das Boot auf Grund.

Der Holländer und ich springen aus dem Boot und schieben es bis zum Anleger.

Im Amazonas geht es bergauf und es gibt richtige Wege. Hätte ich nicht gedacht. Wir gehen an Dörfern der Shipibo-Indianer vorbei – sie winken.

Wir winken zurück.

Wikipedia-Wissen: Die Shipibo sind der am schnellsten wachsende Stamm im Amazonischen Regenwald, entlang des Ucayali Flusses. Er mündet in den Rio Nanay. Über 32.000 Menschen gehören zum Stamm. Die Shipibo versuchen ihre Tradition und die Moderne zu verbinden. Sie bewahren seit Ewigkeiten die Tradition des Ayahuasca Schamanismus. Einflüsse davon findet man in ihren künstlerischen Arbeiten und Designs.

Die Schamanen, mit denen wir bald arbeiten werden, sind Shipibo.

Die Wege sind rutschig. Überall plätschert es; die Regenzeit ist erst seit ein paar Tagen vorbei. Alle in der Gruppe tragen jetzt ihre Stiefel, alle haben Schweiß im Gesicht. Das Laufen tut gut. Wenn du von Stein zu Stein springst und über kleine Stämme balancieren musst, hast du keine Zeit, aufgeregt zu sein. Langsam schwitzt die Gruppe zusammen.

Eine kleine Brücke mit Schilfdach führt über einen Graben und dahinter liegt das Ziel unserer Reise, the Temple of the Way of Light! Was für ein super Name, oder? Hatte mich gleich fasziniert, als ich am 31.Dezember letzten Jahres im Internet beim stöbern darauf gestoßen bin. Ich war auf der Suche nach einem Impuls fürs neue Jahr, nach etwas, vor dem ich Angst haben konnte. Die letzten Jahre waren zu gleichförmig geworden. Angst hilft, dich wieder aufzuwecken – Adrenalin ist ein großartiger Treibstoff. Allein in den Amazonas zu fahren, um Ayahuasca zu trinken, erfüllte mein Bedürfnis nach Angst perfekt.

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Hinter der Brücke werden wir von drei älteren Frauen und einem alten Mann in Trachten mit Umarmungen und Gelächter begrüßt. Alle vier tragen bunte Kappen mit auffälligen, geometrischen Mustern. Das sind die Shipibo Meister, erfahre ich, unsere Onanyas. Ihre Gesichter sind faltig, ihre Augen leuchten, Gold blitzt in ihren Zähnen. Ich bin scheu und durchgeschwitzt, meine Umarmung ist unsicher. Egal. Debbie, die Chefin des Ladens, stellt sich vor. Sie ist dünn, um den Hals trägt sie bunte Perlenketten, ihre Augen lachen. Ich weiß sofort, dass ich hier richtig bin: Das ist eine Hippie-Veranstaltung und meine Hippieseele jubelt.

Kurze Zeit später sitzen wir im Kreis in der Maloka, dem Ritualhaus. Es gibt eine kurze Einweisung in das Gelände des Tempels – wo die Duschen sind, wann und wo es Essen gibt, wie die Humus-Klos funktionieren. Dann werden wir auf die Hütten verteilt. Die Hütten heißen Tambo. Sie liegen im Busch, rund um die Maloka verteilt, durch Pfade miteinander verbunden. Meine liegt am Hang zwischen Bäumen mit silbrig-weißen Stämmen. Es ist schattig und feucht.

Mein Tambo hat ein Bett mit Moskitonetz, eine Hängematte, einen Schreibtisch mit Petroleumlampe, eine Humus-Klo, eine Waschschüssel und Wasser. Die Ruhe um mich her ist unglaublich laut – Quaken und Zirpen, Summen, Rascheln und Plätschern. Es ist großartig.

Wir treffen uns wieder in der Maloka. Matratzen liegen im Kreis. Die Mannschaft vom Tempel, Debbie, Cora, eine dritte Frau, deren Name ich vergessen habe und Slawek, rauchen Amazonas-Tabak und sind aufgeregt. Wir auch.

Ich auch.

Aufgabe: Sag kurz wer du bist und warum du hier bist.

Warum bin ich hier?

Ich will mal schauen, was in meinem Leben noch so geht. Ich bin neugierig und aufgeregt. Das ist nicht ganz falsch, aber die Wahrheit sieht anders aus: Seit über 20 Jahre mache ich den gleichen Job. Ich mach ihn gern, mag die Menschen, mit denen ich arbeite. Aber meine Erfüllung ist es nicht. Meine Frau war lange schwer krank. Die Jahre voller Schmerz und Unsicherheit haben unsere Beziehung ausdörren lassen. Es ist nicht mehr viel Liebe übrig, oder sie ist verschüttet unter Enttäuschung und Wut. Ich liebe meine Töchter. Aber nur für die Kinder zu leben, macht weder die Kinder noch mich glücklich. Als Mann habe ich alle die Jahre alles getan, was man tun kann –Pausenbrote gemacht, getröstet, Wäsche gewaschen, vorgelesen und Geld verdient. Ich brauche Veränderung. Ich will, dass sie tief geht. Ich brauche einen Aufrüttler, einen Wachmacher. Dafür bin bereit zu sterben oder loszulassen, was immer auch losgelassen werden muss.

Sag ich aber nicht. Ist mir peinlich.

Die Abläufe der nächsten Tage werden besprochen. Alles klar. Ich merke mir nichts, habe keine Ahnung. Ich bin mit mir beschäftigt, meinen Gedanken, meiner Reise. Ab zum Abendessen.

Die Amazonas-Nacht bricht an – jemand schaltet das Licht aus und dann ist alles voller Sterne. Mit meiner Taschenlampe finde ich den Weg zu meiner Hütte zurück.

Ich bin wirklich und wahrhaftig im Amazonas.

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