Letztens war ich im Schlosspark spazieren. Es war kalt und sonnig, die letzten Blätter der Buchen und Eichen leuchteten in schwerem Gold und flammendem Rot. Ich spürte meinen Atem, meinen Schritte und dachte auf angenehmste Weise nix. Eine junge Frau kam mir entgegen. Sie war vielleicht Anfang Dreißig und nicht besonders auffällig. Dieses kurze aneinander Vorbeigehen wäre mir nicht in Erinnerung geblieben, wenn sie nicht so eigenartig reagiert hätte. Sie begann nämlich, kaum dass sie meiner Gewahr geworden war, sich quasi an den äußeren Rand des Weges zu drängen, um ja keinen Kontakt, zu viel Nähe, zu viel vom gleichen Weg, mit mir haben zu müssen.

Ich bin ein überwiegend freundlich aussehender Mitbürger. Ich habe keine Reißzähne im Gesicht, keine rot leuchtenden Augen und an meinen Händen klebt kein Blut. Aber diese Art der Reaktion begegnet mir nicht zum ersten Mal. Dieses Unbehagen spüre ich in letzter Zeit öfter: Vorsicht Mann!

In Pankow geht gerade kein Vergewaltiger um. Die aktuellen Statistiken weißen auch bei Gewalt gegen Frauen keinen irrationalen Sprung nach oben aus. Dennoch scheint demonstrativ vorgetragene Angst/ Bedenken / Vorsicht gerade bei jungen Frauen sehr en vouge zu sein. #MannimPark, #Aufschrei #erhatmichangeschaut

Okay, wenn ihr es so wollt: Ich bin ein weißer, alter Mann. Ich bin aus Sachsen. Ich bin quasi Trump x Quadrat. Ich gehöre zu denen, die noch Futur II bilden können und in Zukunft an allem Schuld gewesen sein werden. Dabei komme ich in Zielgruppenbeschreibungen gar nicht mehr vor. Die Enden mit 49. Ich werde von Marktforschern nicht mehr angerufen. In meiner Timeline wird für Rollatoren und Treppenlifte geworben. Mit denen kann ich die mir noch verbleibenden vierzig Jahre munter hoch und runter fahren. Das Leben wird eine Freude sein! Klar, dass ich sauer bin.

Jetzt ist gerade, nachdem die Amerikaner ihren Präsidenten gewählt haben, ab Mitte-Links und, innerhalb Markt relevanten Zielgruppen, großes Zähneklappern angesagt. Die Welt hätte so verdammt schön sein können!

Irrtum: Die Welt ist verdammt schön. Nur leider dreht sie sich nach ihren eigenen Gesetzen. Was ich mit ein paar Jahren Lebenserfahrung gelernt habe: Nichts wird einfach immer besser. Evolution ist kein heiteres Voranschreiten zur nächstschönsten Entwicklungsstufe. Der große Vorsitzende Erich Honecker rief noch ´89 seinen Gläubigen zu: „Vorwärts immer, rückwärts nimmer!“ Am nächsten Tag war es vorbei.

Es gibt keinen Automatismus für Glück und keine Garantie auf Fortschritt, welcher Zukunftsvision dieser auch immer angehören möge. Das Pendel schwingt hin und her. Jede größere Amplitude will erarbeitet werden. Mein größtes Interesse als Erwachsener ist nicht das Ausleben meiner queeren oder feministisch-asexuellen Fantasien. Was noch an sexuellen Restfantasien da ist, werde ich demnächst mit VR erledigen können. Ich finde „Hengstin“ von Jennifer Rostock großartig und weiß guten Sexismus zu schätzen. Ich höre meiner großen Tochter interessiert bei Gendern zu – schöner wird Sprache dadurch nicht.

Ich wünsche mir eine offene, diversifizierte Gesellschaft. Aber ich möchte dazu animiert und verführt werden. Ich möchte eine Zukunft, die Lust macht und nicht eingeklagt wird – nicht mit Quoten, nicht mit schlechten Gewissen und schon gar nicht mit Schuld. Das ist ein Konzept für Religiöse.

Wenn das nicht passiert, werde ich meiner Rolle als alter, weißer Mann gerecht: Dann setze ich mich ans Ufer des Flusses und werfe allen, die Bauch oben an mir vorbei treiben, Blumen hinterher.

Warten zu können ist die Weisheit des Alters.

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