2019 habe ich endgültig die Seiten gewechselt. Du warst schon immer auf der anderen Seite, höre ich es von den billigen Plätzen rufen. Stimmt so nicht, widerspreche ich. Jahrelang war ich Werber. Als Werber gehört man nicht wirklich zu den Guten, aber man ist noch so einer Art Zwitter – auf der einen Seite irgendwie Teil der kreativen Community, auf der anderen Seite malt man gegen ordentliche Bezahlung dem Kapitalismus Ornamente auf den Arsch. Man labert nachts angesoffen vom großen Roman und am Tag schreibt man Headlines für z.B. Bier – du bist so wunderbar. Habe ich jedenfalls jahrelang so gemacht. Den Roman habe ich auch geschrieben. Ist eher ein kleiner geworden. (WURST, Roman, Schwarzkopf&Schwarzkopf, Berlin) Hat mir aber Spaß gemacht.

Mit dem Übergang vom Werber zum Hersteller von Hundefutter und Schnaps bin ich jetzt selbst Arsch geworden. Meine jüngere Tochter hat mir das letztens erklärt. Sie sagte: „Du kannst noch so lange nachts am neuen Roman sitzen und schreiben, Du bist doch Kapitalist.“ Sie hat das als Kompliment gemeint. Was ihr Taschengeld angeht, bin ich das, was ich als Dosenöffner für unsere Katzen bin: der Zugang. Es ist meine Tochter!

Natürlich hat sie nicht Recht!

Gerade kennen die öffentlichen Diskussionen, und die meisten privaten ebenso, nur Schwarz oder Weiß, Gut oder Böse – entweder Faschist oder Linksrotversifft. Meiner Erfahrung nach findet das Leben dazwischen statt – im Graubereich. Ich hatte schon immer einen Hang zu sinistren, ambivalenten Typen. Ich finde Hagen von Tronegg aus dem Nibelungenlied hoch spannend, bin ein Fan von Loki aus der Edda, kann sogar Goethes Mephisto was abgewinnen, obwohl der sich doch ziemlich in der Gegend rumschupsen lässt. Mein Wurst-Held Frederic Becker ist ja auch nicht der pure Sonnenschein. Wer das Leben aushalten will, muss mit Ambivalenz umgehen können, muss ertragen können, dass es nicht nur eine Wahrheit gibt. Darum sind gerade so viele Menschen so frustriert – sie wollen und denken sich ihre Welt in Schwarz/Weiß, Gut/Böse, Links/Rechts. Sie wollen nur eine Wahrheit. Ich nenne das den internen Monotheismus. Seitdem irgendwer in grauer Vorzeit seinen Finger in den Himmel reckte und verkündete, dass es nur einen Gott gibt, ist die Kacke am Dampfen. Und seitdem wurde der Name unzählige Male ausgetauscht, aber das Prinzip blieb unangetastet: es gibt nur eine Wahrheit. Alle anderen sind die Doofen, die Faschisten, die Linksversifften oder die linksversifften doofen Faschisten.

In der Stadt, in der ich lebe, ist Kapitalist zu sein gerade Hagen x Loki – also ganz übel. Die neuen Umverteilungs- und Systemchance-Apostel sind tief in der Wolle christlich gefärbt, wenn sie das auch nicht hören wollen: Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Matthaeus 6:26. Die Rolle des Himmlischen Vaters übernimmt in dieser Vorstellung der Staat. Wer alimentiert hat die Macht und natürlich das Interesse, möglichst viele Menschen in der Abhängigkeit zu halten. So zieht man sich seine Haustiere heran – leicht übergewichtig und neurotisch. Ich halte das mit der Gleichheit mittelfristig für ein sehr gewagtes Experiment. Kettcar, eine Band die ich sehr mag, singt in dem Lied „Balu“ Frieden ist, wenn alle gleich sind/sag an, was wir hier haben. Wie gleich müssen alle sein, um gleich zu sein? Wer bestimmt, was gleich ist? Wer kontrolliert die Gleichheit? Wer kontrolliert die Gleichheitskontrolleure? Und was passiert mit denen, die nicht gleich genug sind? Das sind Fragen, die sich mir als alten Ostsozialisierten sofort aufdrängen. Mir fällt aus der Geschichte kein Gleichheitskonzept ein, was nicht in Chaos, Unterdrückung und Massenmord geendet hat – von Moskau über Peking, Phnom Penh bis Luanda. Ich halte aber auch die Oktoberrevolution nicht für eine Sternstunde der Menschheit, sondern für den Beginn eines Verbrechens gegen sie. Wäre der Weg nicht eher, die Ungleichheit auszuhalten, Neid und Missgunst zu überwinden? Das eigene Herz zu öffnen, statt seinen Zorn für gerecht zu halten, weil die Anderen ihre Herzen nicht öffnen?

Klar, das sind Fragen eines Kapitalisten.

Ich habe rüber gemacht – auf die andere Seite. In einer Stadt, in der gerade die Verkehrswende propagandiert wird, bin ich wieder auf`s Auto umgestiegen. Warum? Die Zahl der verletzten Fahrradfahrer ist signifikant gestiegen. Das Autofahren wird zum Ärgernis, aber die Fahrradinfrastruktur nicht besser. BVG ist das Verkehrsmittel der Stunde, aber neue Taktungen, neue Strecken und vor allem neue Züge kommen erst später. Ich bin nicht bereit, ein Knie, einen Arm oder meinen Kopf als Opfer für die Verkehrswende zu bringen. Die Politiker sind es auch nicht. Herr Müller, so habe ich letztens gelesen, fährt den schmutzigsten aller Dienstwagen. Herr Müller übrigens ist Tempelhofer. Ist da geboren, lebt da und will da bleiben. Sein Versprechen: Ganz Berlin muss wieder Tempelhof sein. Schaumerma, wie eine andere große sinistre Gestalt des Fußballs einst sagte.

Ansprüche formulieren, die andere erfüllen müssen, das ist das Dao des Jetzt. Wer als erstes glaubwürdig mit dem Weltuntergang droht, ist definitiv auf der richtigen Seite. Wer gegen den Weltuntergang kämpft, muss zu den Guten gehören. Theoretische Kompromisslosigkeit sichert Aufmerksamkeit.

All die oben erwähnten Helden der Ambivalenz zeichnen sich übrigens durch ein sehr entspanntes Verhältnis zum Untergang aus; auch dem eigenen. Sie haben keine Angst. Viele Menschen auf der richtigen Seite haben viel Angst. Gründe dafür gibt es ausreichend. Aber es gibt keinen einzigen guten Grund. Was hat die Angst schon Gutes bewirkt? Die Angst macht nicht wach, sie macht starr. Der Atem wird flacher, die Pupillen verengen sich, der Bluttruck steigt. Angst macht das Herz klein, statt groß. Angst inspiriert nicht. Inspiration beginnt nach der Angst. Angst lehrt nichts. Lernen beginnt nach der Angst. Angst ist die kleine Schwester der Panik. Angst rottet sich zusammen, weckt atavistische Reflexe. Angst löst nicht das Problem. Die Lösung beginnt nach der Angst.

Das ist aber gerade alles nicht mehr so angesagt. Was dem einen sein Artensterben, ist dem anderen seine Umvolkung. Letztens habe ich mal wieder Jandls großartiges Gedicht „Lichtung“ gepostet. Das fand keine Anerkennung. (https://de.wikipedia.org/wiki/Lichtung_(Gedicht)).

Wie schon erwähnt, dass ist nicht die Zeit für Ambivalenz. Ich weiß nicht, ob ich in der nächsten Zeit hier noch zum Schreiben komme. Als Kapitalist hat man den Arsch voll zu tun. Aber vielleicht kaufe ich mir einen Ghostwriter. Den Unterbezahle ich dann, beute ihn aus und verkaufe seine Kreativität unter meinem Namen.

Irgendwer Interesse?

Bitte PN.

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