Ich habe die Nacht wieder in der Maloka geschlafen. Colleen und Les hatten mich gefragt, ob ich die Nacht mit ihnen im Raumschiff verbringen will. Ich habe mich gefreut, gefragt zu werden. Natürlich ist es schöner mit den Mädchen zusammen zu sein, als allein in der Hütte zu liegen.

Wir haben uns ein paar Decken besorgt, die Matratzen zusammengeschoben, uns gute Nacht gewünscht. Gerade als ich einschlafen wollte, kam Luna, der Schamanen-Hund, wie ein wilder Wind in die Maloka. Luna umkreiste unsere Matten, fiel um, rollte sich zusammen und schlief sofort schnarchend ein.

Großartiger Wächter.

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Die Medizin wirkt noch immer in mir, arbeitet in meinem Bauch. Es ist ein Brizzeln und Ziehen. Ich erinnere es. Als Kind habe ich es immer gespürt. Unruhe, hat es meine Oma genannt. Ich habe es für Unsicherheit gehalten und wollte es nicht, bis es eines Tages weg war. Wir halten Nichts mehr zu spüren für Sicherheit. Dabei ist es die Lebendigkeit, vor der wir Angst habe. Wenn man Nichts mehr spürt, dann sollte man sich Sorgen machen.

Ich fühle mich ganz sanft, ruhig und entspannt. Ich gehe langsamer und ich brumme. Mein Brustkorb vibriert. Fühle mich wie eine Katze, die schnurrt.

Ich umarme Colleen, Ika, Dave und Maxine. Ich habe es immer genossen, Menschen anzufassen, zu umarmen und umarmt zu werden. Vor Jahren habe ich mir das abtrainiert. Utas Verzweiflung über ihre Krankheit, ihr bröckelndes Selbstwertgefühl, hatte sie rasend Eifersüchtig werden lassen. Um nicht noch mehr zu eskalieren, verkniff ich mir mein libidinöses Verhältnis zur Welt. Schlimmer Verlust. Aber ich war nicht nur enttäuscht von der Situation, in die wir geraten waren. Ich war vor allem enttäuscht von mir. Ich war so deprimiert, dass ich Uta nicht helfen konnte – nicht als Liebhaber, nicht als Freund, nicht als Heiler. Ich war rasend vor Hilflosigkeit.

Du musst die Welt und dich lieben, um sie zu berühren. Die Frauen, die Männer, die Freunde, die Kinder, die Bäume, das Gras, das Wasser. Es ist so schön und richtig. Hilflosigkeit auszuhalten ist eine große Übung.

Auf dem heutigen Programm stehen noch:

Schamanen-Medizin: Seit meiner Anamnese bekomme ich jeden Morgen einen Trank aus Camu-Camu und einen großen Schluck frischen Ingwersaft.

Das Blütenbad:Das Blütenbad wird, bis zum Ende der Reise, jeden Tag gegen Mittag von Elena und Laura verabreicht. Jeder wird mit Wasser aus großen Zubern übergossen, in denen unzählige Blüten schwimmen. Das Wasser duftet und erfrischt. Laura packt meine Badehose, zieht sie vor und gießt mir kichernd einen großen Schwall übers Gemächt. Ich verlange energisch mehr. Noch mehr Gekicher.

Zeremonie am Abend: Überraschungstrip nach Empfehlung der Medizin.

Ich werde heute Abend mit der Intention „Vergeben“ in die Zeremonie geben. Mir vergeben, Uta vergeben, um Vergebung bitten, dem Land vergeben. Ich spüre das Drama „Deutsch“ immer noch. Vielleicht ist das der Sinn des Altwerdens – vergeben zu können und zu heilen. Geheilt ist in meinem Land noch gar nichts. Deutschland bittet seit so vielen Jahren die Welt um Verzeihung, aber sich selbst hat das Land noch nicht verziehen.

Dave hat mir von Australien erzählt – dort konnte man noch sich bis Anfang der Sechziger eine Lizenz kaufen, um Aborigines zu erschießen. Dave hat viele Aborigines-Freunde. Er weint fast vor Scham. Slawek erzählt ständig, dass alle großen Erfindungen auf dieser Welt von Polen gemacht wurden. Klingt auch nicht nach einem entspannten Verhältnis zur eigenen Idenität.

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