Ich habe fast 10h geschlafen. Sonst waren es immer drei, vier. Ich habe geträumt, dass ich in einem S-Klasse Mercedes herumfahre und Salz wie Kokain nehme, mir die groben Kristalle in die Nase stecke, hektisch bin, mir das Ganze sehr unangenehm ist. Ich kann nicht anders. Ich habe mich mit einem PLO Mann getroffen und darüber unterhalten, dass der Mossad am Ende jeden kriegt und dass es okay für die PLO ist. Märtyrerkonzept.
Keine Zeremonie am Abend – ein Tag zum Erholen, abhängen, ein großes Sharing am Nachmittag, endlich mal wieder Abendessen. An Ritualtagen gibt es nur Frühstück und Lunch, ab 16.00Uhr soll auch nichts mehr getrunken werden. Je nüchterner und leichter Körper und Geist sind, desto weniger Gewalt muss die Göttin anwenden, um durchzudringen. Die Göttin ist die Meisterin der kleinen Aufrüttler, sie nimmt deinen Kopf zärtlich und lässt ihn nicht eher los, bis du gesehen hast, was du zu sehen hattest. Aber sie kennt auch die harte Tour.
Wir sitzen alle zusammen auf der großen Bank am Weiher, schlürfen Kokosnüsse und tauschen uns aus. Ich weiß jetzt, woher ich Candy kenne. Sie erinnert mich an eine meiner Exfrauen. Sie will Tipps zur Meditation, weil ich immer so ruhig und gerade sitze. Ich erkläre ihr Vipassana und wir rutschen zueinander. Ich erinnere sie an ihren Exfreund, sagt sie. Sie ist jüdisch, wie es meine Ex ist. Es vibriert zwischen uns. Ich muss an ihr leuchtendes Bikinioberteil denken, dass mich seit der 3. Zeremonie verfolgt. Nein, es verfolgt mich nicht – es begleitet mich. Spitz bin ich trotzdem. Ficken ist gerade keine Option – hier im Camp nicht, mit der Göttin nicht und nicht in meiner persönlichen Situation. Zu den Grundqualitäten von Ayahuasca gehört Loyalität und die Unmöglichkeit, einen anderen Menschen wissentlich zu verletzten. An dem Punkt löst sich die erotische Spannung in Lachen auf – wir hatten das alles schon, wir kennen das Feld, wissen Bescheid über Eingang und Ausgang. Es gibt keinen Grund für eine Wiederholung – außer massiver Geilheit vielleicht. Da würde bei Ayahuasca nicht gern drüber gesprochen – aber die Medizin macht spitz wie Lumpi. Die Göttin ist auch eine erotische Meisterin und sie liebt es, zu spielen.
Wir machen als Gruppe einen Ausflug in den Wald – wir sind mitten im Wald. Die Ayahuasca Liane, Banisteriopsis caapi, der eine Bestandteil des Tranks, wächst überall. Wie jeder Rebe, reicht ihr der kleinste Halt, um sich empor zu winden. Sie ist zäh und stark. Sie ist der männliche Teil der Medizin, der Baum. Die Rinde enthält die Harman-Alkaloide, die es als MAO-Hemmer dem Körper ermöglicht, das N.N-Dimethyltryptamin (DMT) aufzunehmen, dass in den Blättern des Chacruna Strauches, Psychotria viridis, gespeichert ist. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Die anderen Teile sind die Gesänge der Vögel, das Quaken der Frösche, die Sonne, der Wind und natürlich die Dudes. Wer sich nur auf die Chemie einlässt, wird nur eine chemische Erfahrung machen. Die Göttin will geliebt werden – wie wir alle.
Wir ziehen als giggelnde und quatschende Truppe durch den Wald und lassen uns die Pflanzen erklären, machen Fotos mit Elena, Lila und Laura. Jede unserer Onanya stellt seinen Lieblingsbaum, seine Lieblingspflanze vor. Die Shipibo Heiler leben Monate, manchmal Jahrelang mit einer bestimmten Pflanze, bis sie ihre Kraft, ihre Frequenzen ganz in sich aufgenommen haben. Die Basis dafür ist eine Diät, wie wir sie auch seit unserer Ankunft befolgen: Gemüse, Obst, kein Salz, kein Zucker, kein rotes Fleisch, ganz sicher kein Schwein, wenig Fett, keinen Alkohol, keinen Sex.
Zum Abendessen gibt frischen Fisch und Salat mit Avocados, als Nachtisch Passionsfrüchte. Wir sitzen noch auf der Veranda, rauchen Mapacho. Wir haben noch zwei Zeremonien vor uns. Zum ersten Mal denke ich daran, dass es bald vorbei ist. Ich freue mich auf meine Mädchen. Ich bin ihnen manchmal so nahe, dass ich glaube, sie greifen zu können. Ich möchte für immer hier im Dschungel bleiben. Alles gleichzeitig. Immer.
Wir entscheiden uns. Immer.