Was ich an Claudia bewunderte, war die Sicherheit, mit der sie sich bewegte. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass sie stolpert. Und wenn, dann sah das sicher sehr bedeutend aus.
Claudia war groß, blond, langbeinig und kurzsichtig. Sie war eine sehr schöne Frau. Wenn man mit ihr durch die Stadt ging, konnte man den Neid der anderen Männer spü-ren. Und auch jetzt spürte ich die Blicke der anderen, als sie mit einem Lachen und diesen animalisch weißen Zähnen
auf mich zugesegelt kam und mir ihren durchtrainierten Körper in die Arme warf.
Eine Hochleistungsfrau von Scheitel bis Zeh. Ich wußte, wovon ich sprach. Wenn nur der Kuß auf die Stirn nicht so freundschaftlich gewesen wäre. Er machte deutlich, dass zwischen uns mal mehr gewesen war als ein Bier am Tresen.
Ich hatte es vermasselt.
Ich hielt mich an der Bar fest, die mir schon zwanzig Minuten zur Seite gestanden hatte, und war der Mann von Welt, der täglich von Frauen wie Claudia geküßt wird.
Nachdem ich ihre Hüften getätschelt hatte, schaute ich mich um und strich meinen Teil Bewunderung ein.
Claudia wollte nächste Woche in Urlaub fahren. Sie fuhr jedes Jahr nach Italien. Freunde von Freunden aus Genua hatten ein Haus in der Toscana. Von der Villa, zu der das Gartenhaus gehörte, standen nur noch einige Mauerreste.
Wenn der Tag klar war, sah man das Meer. Meistens lag Dunst in den Senken, und die Pinienhaine verschwanden darin wie Reusen in der Flut. Claudia hatte davon erzählt, als wir bei ihr auf dem Bett lagen und Ouvertüren von Verdi hörten.
Jetzt war Abschied. In einer Woche würde sie weg sein, und sie wußte nicht, ob noch mal Zeit für mich sei. So war das.
Schulterzuckend griff ich zum Weißbier. Ich trank Weißbier, weil grade alle Weißbier tranken. Mit Schaum vor dem Mund sah ich ihre Zähne, das Weiß ihrer Armbeuge, den Leberfleck über dem Schlüsselbein – ich dachte an die Wohnung, die Georg gehörte, dachte an Karen, die nicht mal gemerkt hatte, dass ich ausgezogen war, dachte an den Job in diesem
Marktforschungsinstitut.
»Willst du mich nicht fragen, ob ich mitkomme?«
Claudia legte mir ihre Hand ans Gesicht.
Ich nickte ertappt.
Sie schüttelte lachend den Kopf. »Warum mußtest du damals aus allem ein Problem machen, statt mich einfach nächtelang zu bumsen?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Es ging nicht…«
»Warum nicht, was hat dich denn an mir gestört?«
»Nichts, gar nichts, im Gegenteil. « versuchte ich zu erklären.
»Wenn du nur ein Bein gehabt hättest, keine Zähne, eine Narbe vom Kitzler bis zum Ohrläppchen, dann wäre das kein Problem gewesen. Aber so… einfach zu perfekt für meine imperfekte Seele.«
»Würde es denn jetzt gehen?«
Ich küßte ihre Fingerspitzen. »Ich würde mir vorstellen, du hättest rote Haare…«
Claudia schüttelte beleidigt ihre blonde Pracht und sagte, dass sie letztens wieder eine Folge der BRIGHT LIGHTS gehört hatte. Sie waren nicht mehr so gut.
Das schmeichelte, und ich dachte, man kann es vielleicht noch mal direkter versuchen. »Laß uns ein Dutzend Eier kaufen und zu mir gehen. Ich habe paar Mark, wohne nicht mehr bei Karen und bin damit Herr über ein eigenes Designer-Bett. Es quietscht nicht.«
Dem Lachen nach zu urteilen, war der Vorschlag ein Erfolg. Aber sie bedauerte – sie mußte noch arbeiten.
»Was für eine Arbeit?«
Sie lachte noch immer. »Das hast du mich nie gefragt, und jetzt erzähle ich es dir nicht mehr.« Sie stand auf und drückte meinen Kopf an ihre Brust. Es roch wie die Stunde vor Mitternacht.
Drei kleine, schwarze Teile von Chanel, wehende Haare und Beine bis zum Hals. Ich kenne tolle Frauen.
Die beiden Mädchen hinter dem Tresen sahen aus wie Schwestern – die selben Ärsche. Zum Schluß sind die Kellnerinnen immer am schönsten.

Ich hatte Claudia auf der Vernissage eines Designers kennengelernt. Berlin war gerade schwer als Designerstadt im Gerede. Also kam jemand in der Redaktion auf die Idee, dass wir auch so was bringen müßten. Die BRIGHTLIGHTS waren der passende Rahmen, weil sie was mit Kultur zu tun hatten.
Murrend war ich losgezogen und hatte alle meine Vorbehalte bestätigt gefunden – die Vernissage war prickelnd wie ein Kamilledampfbad, die ausgestellten Möbel eigneten sich nur, um Gläser darauf abzustellen. Ich brachte lausiges Material, aber eine Verabredung mit Claudia zurück.
Am Abend unserer Verabredung ging ich allein ins Kino und schaute mir zum drittenmal »Diva« an. Ich hatte Schiß vor ihrer hemmungslos-direkten Art, mit der sie an jenem Abend von einem Typen Marke ARD-Kulturredakteur mit stahlgrauem Bürstenschnitt auf mich umgestiegen war. Ich glaubte ihr nicht. Es ergab keinen Sinn für mich.
Wir trafen uns auf dem Uni-Campus wieder. Ich hörte Publizistik, Claudia Biologie. Beim Anstehen in der Mensa stand sie plötzlich neben mir. Ich bekam einen Rüffel wegen Versetzens und eine Einladung zu ihr.
Am Morgen danach war ich ihr Geliebter und hatte einen Kater, mit dem ich in keine U-Bahn paßte.
Jetzt, wo ich es geschafft hatte, nicht mehr bei Karen zu wohnen, und die ganze Veranstaltung wieder ein Spiel mit einfachem Einsatz war, waren ein paar Hauptgewinne nicht mehr im Spiel. Mit der Erkenntnis, dass die richtigen Dinge meistens zum falschen Zeitpunkt passieren, lief ich die
Goltzstraße hinunter.

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