Das Laufen tat gut. Meine Hände suchten vergebens die Taschen meines grünen Jacketts. Ich hatte es am Morgen in Georgs Wohnung gelassen.
Der Tequila war mir näher.

Vor dem Café standen rote, gelbe und blaue Plastikstühle.
Auf ihnen hatten sich werdende Redakteure, zukünftige Filmemacherinnen und stumme Komponisten seit dem Vormittag ein Hausrecht ersessen.
Drinnen war es nicht kühler, aber dämmerig. Ein Bass schepperte dumpf durch die Boxen. Ein Mädchen mit Schmetterlingsbrille und Sommersprossen wie Dünnschiß saß in der Ecke und las den »Figaro«.
Zu einer normalen Jahreszeit ist es leichter, ein Passagierschiff auf dem Ku’damm zu parken, als hier einen Platz zubekommen. Das heißt nicht, dass es ein guter Ort ist. Es ist laut genug, um einen auf andere Gedanken zu bringen, wenn man nicht weiß, wohin mit sich. Es war der erste Laden, den ich in dieser Stadt regelmäßig besuchte. Nach meinem Rausschmiss beim Sender versoff ich hier den größten Teil meiner Bücher. So was verbindet.
Der Tresen war leer bis auf ein halbvolles Glas, auf dem ein Fliegenpärchen kopulierte.
Unschlüssig blieb ich stehen.
Ein grauer Schatten trat mit lässigem Schwung aus der Toilette.
Der Schatten war ungefähr einsfünfundachtzig, trug einen tadellos sitzenden Anzug und Cowboystiefel. Die Cowboystiefel konnte man nicht sehen, weil sie von den Tischen verdeckt wurden. Jeder, der den Schatten kannte, kannte auch die Stiefel.
Der Schatten hieß Key.
Key hatte wache, blaue Augen und über schwarzen Augenbrauen trug er einen stets sauberen Haarschnitt. Wenn er lachte, zog er die Mundwinkel nach unten, statt nach oben.
Ich hatte Key noch nicht oft lachen gesehen.
Vom Typ eher unauffällig, war er unsichtbar in einer Art, wie es auch die schwarzen Löcher sind: anziehend. Es gab eine Menge Leute, die sagten, es sei wichtig, Key zu kennen. Das war zu der Zeit, als ich noch mit der Nagra und Mikrophon durch die Szene zog; Impressionen für die BRIGHT LIGHTS. Es waren die Leute, mit denen ich täglich zu tun hatte.
Leute vom Rundfunk, vom Film, Frisöre und jede Menge freie Mitarbeiter für alles Mögliche.
Also lernte ich ihn kennen.
Kennenlernen geht in Berlin so einfach wie überall. Jemand nimmt jemanden mit zu jemandem und sagt ihm seinen Namen. Am Anfang gibt es nicht viel zu sagen. Aber weil man überall die gleichen Gesichter trifft, gewöhnt man sich daran. Zum Schluß findet man doch einen gemeinsamen Bekannten und zieht über ihn her.
Auf einer dieser Partys, es war der fünfzigste Geburtstag eines Galeristen oder der achtzehnte seiner Freundin, kam ich das erste Mal mit Key näher in Kontakt. Wir hatten uns gleichzeitig von links und rechts einer hilflos im Getümmel stehenden Blondine genähert. Ich mit einem Glas Sekt, Key mit einer Flasche. Mit den ersten Worten entpuppte sie sich als Norwegerin. Sie war nach Berlin gekommen, um ihr Englisch aufzubessern. Sie war sehr angetan von unserem Bemühen um sie. Ich besorgte ein paar Happen vom Buffet, Key bot Zigaretten an – blonder Tabak mit Korkmundstük-
ken. Craven »A«, Raymond Chandlers Stammarke. Man muß sich bemühen, um sie in Berlin zu bekommen.
»Heimlich Privatdetektiv?« fragte ich.
Während wir auf unsere Bekanntschaft warteten, die sich pudern gegangen war, fragte er mich, ob ich nicht Lust hätte, mir die Dame mit ihm zu teilen. Ich verschluckte mich am Rauch der Zigarette, und um nicht kleinlich zu wirken, nickte ich.
Brunhilde kam noch blonder, noch aufgeschlossener von der Toilette zurück und fand alles noch tougher. Sie lispelte »Neubauten«, kannte den Designer Nick Cave und besaß die Raubkopie einer Platte von Claudia Skoda. Um so größer war ihr Glück, dass sie in uns persönliche Freunde der ganzen Underground-high-society getroffen hatte. Es versprach
eine tolle Nacht zu werden. Ich erzählte Geschichten von meinem Freund Bargeld, und Key spann Anekdoten, die er mit Salome Kiefer erlebt hatte. Später mußte ich mal auf die Toilette.
Als ich zurückkam, waren die beiden weg.
Ohne sie war die Party nicht mehr zu retten, aber erleichtert war ich auch.

Key lud mich mit einer Handbewegung ein, mich neben sein Glas zu stellen, und bot mir eine Craven »A« an. Ich nahm dankend an und winkte nach dem Tequila, den ich mir versprochen hatte.
Die Bedienung erwachte aus ihrem Dämmerzustand und schob sich Richtung Flaschen. Die Fliegen setzten ihr Liebesspiel an der Decke fort. Wir tauschten einige Höflichkeiten aus – über den Sommer im allgemeinen und speziell den Sommer in dieser Stadt.
«Logischerweise muß es in Berlin heißer sein als in anderen Städten«, erklärte Key. »Die Hitze sackt in die Stadt und kann durch die Mauer nicht zur Seite weg. So kommt es zum Hitzestau.«
Das klang einleuchtend, und wir tranken darauf.
»Höchstens einen noch«, sagte Key und wischte sich Orangensaft aus dem Mundwinkel.
Wir ließen uns nachschenken.

»Ich hab letztens einen Mann getroffen, der setzt jährlich dreihundert Millionen DM um, das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen… dreihundert Millionen. Weißt du, was mir an ihm aufgefallen ist?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Er hatte Haare auf der Brust… unendlich viele Haare auf der Brust, ein richtiger Wald. Nicht dass mich Männerbrüste allgemein besonders interessieren, aber er trug ein dünnes Hemd, nichts darunter, und aus den Zwischenräumen zwischen den Knöpfen, sogar aus den Knopflöchern quollen Haare… das ist mir nicht das erste Mal aufgefallen… die Haare auf der Brust als Zeichen des Erfolges, sieh dir Kotz George an, King Kong oder Reagan, alle behaart. Wie sieht das bei dir aus?«
»Na ja, eher wenig, um nicht zu sagen… gar nicht.« Ich kratzte mein nacktes Brustbein und hatte nicht das Gefühl, dass sich da noch etwas ändern würde.
Key kippte seinen Schnaps. »Du mußt an dir arbeiten…
ich lasse jede Nacht daran ziehen.«
Ich gab Key zu verstehen, dass ich seit Wochen in einer finanziell prekären Situation steckte, und fragte, wo man Leute kennenlernt, die jährlich dreihundert Millionen umsetzen egal ob mit Haaren oder ohne.
Key nuschelte etwas von Business, machte mit der linken Hand eine vage Handbewegung, bestellt mit der Rechten noch zwei Schnäpse und fragte, ob ich irgendwas Besonderes könne. Die Hitze hatte bewirkt, dass der helle Geist des Tequilas leichter und unbeschwerter hatte aufsteigen können. »Primär«, sagte ich, »bin ich vielmehr was Besonderes, als dass ich was Besonderes kann. Sekundär schreibe ich jeden an die Wand, wenn es darauf ankommt. Nur – es kommt meist nicht darauf an.« Ich warf mir mit einer gleich lässig wie verachtenden Geste den Schnaps in den Rachen,
und während ich zwei weitere orderte, dachte ich, dass es wohl besser wäre, aufzuhören.
»Ich kann wirklich nichts versprechen«, Key prostete mir zu, »aber ich werde mal rumhören.«
Na klar. Immer schön vage bleiben. Das war in Ordnung.
Wer kann schon was versprechen, und lieber so rum, als vorne sicher wie die Schweizer Bank und hinten Anschiß.
Außerdem war es nicht Keys Problem, dass ich plötzlich wieder so ein mulmiges Gefühl im Magen hatte. Ich spürte, wie mir urplötzlich die Augen feucht wurden.
»Scheiße«, sagte ich, »Zitronensaft im Auge.«
Key bestätigte, dass ihm das auch schon mal passiert sei.
Er fragte, ob ich für den Abend schon was vorhätte.
»Vielleicht Kino«, ich hatte wieder alles unter Kontrolle.
Key zog einen Briefumschlag aus der Innentasche seines Jacketts und rieb ihn mir unter die Nase. »Etwas Leben gefällig?« fragte er. Der Briefumschlag enthielt zwei Einladungen für das Premierenfest eines Filmes.
Es war nur was Vorübergehendes.
Ich lachte. »Aber bitte.«
Wir zogen los.

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