Die Schulung dauerte zwei Stunden.
Ich trank fünf Tassen Kaffee und ging sechsmal aufs Klo.
Mein Nachbar legte seine Zigaretten nach der dritten, die ich mir genommen hatte, auf die andere Seite. Das weit nicht schlimm. Ich war Nichtraucher. Mit seinem Gewackel versperrte er mir den Blick auf die Rothaarige. Ohne sie war die ganze Szene nichts wert. Zum Schluß durften alle einmal an die Computer fassen – das war es. Keine Arbeit.
Ich hatte damit gerechnet, sofort Kohle mitzunehmen. Ich brauchte das Geld. Ich hatte für den Abend eine Verabredung mit Claudia. Ich hatte keine Lust, wie ein arbeitsloser, schwarzer, schwuler Türke neben ihr zu stehen.
Von einem mittelblonden jungen Mann in einem schicken, grünkarierten Jackett wird erwartet, dass er zahlt. Jedenfalls dann, wenn er sich mit einer Frau trifft, die Wert darauf legt, Frau zu sein.
Ich ging zu Birke und versuchte ihr klarzumachen, dass meine zukünftige Arbeit dem TEMPO-Institut schon jetzt fünfzig Deutschmark wert sein müßte.
Birke lachte.
»Ich weiß nicht, was es über das Elend eines Mannes zu lachen gibt«, sagte ich.
»Keine Sorge«, beruhigte mich Birke, »es ist genug Arbeit da. Die ist zwar nicht für die Neuen gedacht, aber wenn du es nötig hast, kannst du morgen gleich mit einsteigen.«
»Sicher M’am«, beteuerte ich, »sie Werdens nich bereun, M’am. Gleich früh werde ich da sein…«
Sie hätte mir auch privat was geborgt, wenn ich es darauf angelegt hätte. Ich zog den guten Eindruck vor und verabschiedete mich.
Als ich aus dem Werkstor trat, hatten sich die restlichen Neuen schon verstreut. Schlimm war, dass die Rothaarige sicher dachte, ich würde Birke schöntun.

Wie ein Rindvieh trabte ich den Weg zum gewohnten Stall.
Erst als ich auf dem Winterfeldplatz stand, fiel mir auf, dass ich ja gestern bei Karen ausgezogen war. Sei`s drum.
Spätpunks und Frührentner hingen auf den Bänken herum, Feierabendalkis versammelten sich auf einen Kurzen am Kiosk, und Rollschuhfahrer drehten ihre Achten. Ein zwölfjähriger Junge testete das Gewicht der Kette, mit der ein schwarzes Rennrad an einen Laternenpfahl geschlossen war. Er rüttelte daran und lachte, als er mich sah.
Ein Schwarzer in einer leuchtend weißen Tunika streifte mich, die Hände vor der Brust gefaltet. Ich grüßte ihn, auch von Georg. Vielleicht war er ein radikaler Fundamentalist, und man kann ja nie wissen.
Als ich mich wieder umdrehte, waren der Junge und das Rennrad verschwunden. So was ist auch eine Möglichkeit.
Meine Finanzsorgen beunruhigten mich. Der Unterschied zwischen einem Entrecote und einer Boulette ist kein ideologischer. Man schmeckt ihn. Die erste Zeit nach dem Sender hatte ich von den Reserven leben können. Ich verkaufte einige Erbstücke. Der Biedermeierschrank meiner Großmutter brachte ein Vierteljahr. Es war ein exzellentes Stück. Einen zweiten gab es nicht. An die Zeit vor dem Sender wollte ich nicht mal denken.
Ich schaute auf die Uhr neben dem Zeitungskiosk.
Karen war mit Sicherheit noch am Set. Ich kannte ihre »special places«. Ich hatte ein Recht darauf, mir ein paar Mark zu nehmen. Ohne mich wäre sie nie ins Filmgeschäft geraten.
Höchstens als Komparse.
Ich machte damals ein Rundfunkbeitrag über einen Krimi, der in der Stadt gedreht wurde. Hinterher ging ich mit der Crew noch einen trinken. Ob sie jemanden brauchen könnten, der gelernter Dekorateur sei, fragte ich. Die Requisite brauchte einen Assistenten. So einfach war das.
Jetzt machte Karen diesen Job. Es lief gut für sie. Letzten Monat hatte sie sich einen Anrufbeantworter gekauft.
Seit Jahren versteckte Karen ihr Geld im Nähzeug.
Eine Erinnerung an die Zeit, als sie noch Indienkleider nähte. Ich nahm mir einen blauen Schein. Davon waren die meisten da.
Ein Schlüssel klapperte im Schloß. Auf Zehenspitzen verschwand ich auf dem Balkon.
»Dein Leben möchte ich haben«, sagte Karen, als sie neben mir stand.
Ich räkelte mich aus dem Korbsessel, blinzelte in die Sonne.
Karen sah nicht gut aus. Mit Abstand konnte ich das objektiv beurteilen. Sie hatte Ringe unter den Augen und unter der antrainierten Bräune war sie blaß. Das war die Hitze. Die beschleunigte den Verfall. Bald würde ihr Hintern schlaff werden, der Bauch Falten werfen. Das war nicht mehr mein Problem. So ihrem Schicksal ausgeliefert, fand ich sie fast sympathisch.
»Weißt du, wann ich letzte Nacht gekommen bin«, wollte sie wissen.
Das war ein harter Schlag. Ich hatte darauf spekuliert, dass ihre Augenringe was mit mir zu tun hatten. Fehlanzeige! Sie hatte noch gar nicht bemerkt, dass ich mich von ihr getrennt hatte und ausgezogen war.
Ich trug ihr Geld in der Tasche und beherrschte mich.
»Nein«, sagte ich, »ich habe geschlafen. War es hart?«
Karen nickte. Bleich und klein stand sie im Türrahmen.
»Wollte dich keiner?« fragte ich.
»Vergiß es«, sagte sie, »die wollen alle nur meinen Arsch.«
»Ich dachte, das wüßtest du schon.«
Karen steckte sich eine Zigarette an. »Statt sachlich zu fragen, reden die den ganzen Abend davon, was sie in einem Monat verdienen und in einer Woche ausgeben.«
Ich nutzte das für eine Gegenfrage: »Kannst du mir paar Mark leihen?«
Karen ging ins Zimmer und schaltete den Fernseher ein.
Dann warf sie mir die Nähdose zu.
Ich nahm mir zwanzig Mark. »Ich habe mir zwanzig Mark genommen«, sagte ich.
Sie zuckte mit den Schultern. »Mach leise, wenn du heute Nacht heimkommst«, sagte sie.
Ich versprach es.

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